Zur Käferfauna eines Grundstücks in einem Dorf bei Meißen

Wieviele Käferarten kann man auf einem 1000 m² großen Grundstück finden? Zehn, fünfzig, einhundert oder noch mehr Arten?

Im Februar 2013 bin ich in ein Dorf südwestlich von Meißen gezogen. Das Grundstück wurde erst wenige Jahre zuvor erschlossen und liegt am Rand des Dorfes mit relativ lockerer Bebauung.

Die unmittelbare Umgebung kann folgendermaßen charakterisiert werden:

Östlich grenzt das Grundstück an eine Streuobstwiese, die mit Schafen beweidet wird sowie an eine Ackerfläche, nur getrennt von einer kleinen Nebenstraße. Südlich und westlich befinden sich ältere Einfamilienhaus-Grundstücke, und nördlich gibt es eine Brache mit Gehölzaufwuchs und ein verfallendes Gebäude. Das Wohnhaus steht am östlichen Rand des Grundstücks. Westlich der Terrasse vor dem Haus gibt es eine Rasenfläche in dessen Mitte ein Bergahorn-Hochstubben von 70 cm BHD und 3 m Höhe steht. Der Baum ist erst vor wenigen Jahren abgestorben und wurde bis auf 1-2 m lange Aststummel in etwa 3 m Höhe abgesägt. Weiter nordwestlich ist das Grundstück von einer 2 m hohen Böschung geteilt. Unterhalb der Geländekante befinden sich neben einer weiteren Rasenfläche mit Ziersträuchern, Koniferen und jungen Obstbäumen eine Gewächshaus, eine Gartenlaube und ein Doppel-Carport. Auf dem Grundstück wurden vor 5-6 Jahren relativ viele fremdländische Gehölze, Sträucher, Gebüsche und Stauden gepflanzt.

100 m nordwestlich im Talgrund stockt ein etwa 0,5 ha großer Laubmischwald mit einigen alten Eichen, Eschen, Rosskastanien, Linden sowie jüngerem Gehölzaufwuchs, der aus einem aufgelassenen Park eines Ritterguts hervorgegangen ist. 200 m südwestlich gibt es eine alte Streuobstwiese, die mit Rindern oder Pferden beweidet wird sowie Grünland und weitere bebaute und unbebaute Grundstücke. Insgesamt ist die Umgebung relativ vielgestaltig, kleinteilig und wird extensiv bewirtschaftet, d.h. es gibt nicht nur permanent kurz geschorenen Rasen und fremdländische Koniferen. Das Dorf ist allerdings von intensiv genutzten Ackerflächen umgeben. Am nordwestlichen Ortsrand befindet sich eine Kaolingrube.

Die ersten Käferfunde gelangen kurz nach dem Einzug im Februar 2013. Hinter den Kehrleisten wurde typische „Wohnungskäfer“ wie z.B. die zur Familie der Teppich- und Speckkäfer zählenden Trogoderma versicolor, Anthrenus museorum, Attagenus pellio sowie Flügeldecken des Harlekin-Marienkäfers Harmonia axyridis gefunden. Die zuletzt genannte Art stammt aus Asien und ist wie viele heimische Marienkäferarten ein Blattlausvertilger. Da er gefräßiger ist als beispielsweise der Siebenpunkt-Marienkäfer wurde Harmonia axyridis (Foto 1) in Europa eingeführt und zur biologischen Schädlingsbekämpfung in Gewächshäusern eingesetzt. Vor wenigen Jahren sind einige Tiere aus diesen Gewächshäusern entkommen und haben sich in kurzer Zeit über ganz Europa ausgebreitet. Es gibt Befürchtungen, dass es durch diese invasiven Neozooen, so der Fachbegriff, zu negativen Auswirkungen auf die heimische Fauna kommen könnte, beispielsweise die Verdrängung einiger heimischer Marienkäferarten.

Foto 1: Überwinterungsgemeinschaft des aus Asien stammenden Harlekin-Marienkäfers Harmonia axyridis. Die Färbung variiert stark.

Unten den ersten Arten Mitte April 2013 im Freiland gehörten der Feldsandlaufkäfer Cicindela campestris sowie häufige Kurzflügler wie z.B. Drusilla canaliculata, Coprophilus striatulus, Anotylus sculpturatus, Xantholinus longiventris, Tachyporus obtusus u.a.

Als ergiebiger Fundort erwies sich das nördlich exponierte, hellgrau gefärbte Rolltor der Tiefgarage. Am 14.4.2013 konnte hier beispielsweise der Pilzschwammkäfer Mycetophagus fulvicollis nachgewiesen werden, am 17.4.2013 der Blattkäfer Prasocuris junci, am 4.5.2013 der Laufkäfer Amara ovata, am 12.6.2013 der Laufkäfer Harpalus atratus sowie im Juni mehrfach Leuchtkäfer Phosphaenus hemipterus (Foto 2), bei dem auch die Männchen flugunfähig sind und am 14.10.2013 der Kurzflügler Tasgius morsitans. Weitere 10-20 meist häufige Arten waren dort zu finden.

Foto 2: Leuchtkäfer Phosphaenus hemipterus

Aus Sicht der xylobionten Käferfauna kann der Bergahorn-Hochstubben als besonderes Refugium hervorgehoben werden. Zur Haupterfassungszeit der meisten Holz- und Pilzkäferarten, d.h. von Mai bis Juli wurde diese teilweise besonnte Stehend-Totholzstruktur fast täglich abgesucht, auch nach Sonnenuntergang mit Taschenlampe. Bisher konnten 30 Holz- und Pilzkäferarten nachgewiesen werden, beispielsweise Colydium elongatum, Uloma culinaris, Cicones undatus, Siagonium quadricorne, Sinodendron cylindricum (Foto 3)und Corticeus bicolor.

Foto 3: Kopfhornschröter Sinodendron cylindricum

Weitere relativ seltene bzw. Rote-Liste-Arten, die auf dem Grundstück gefunden wurden, sind z.B. der „Bienenwolf“ Trichodes alvearius (Foto 4) auf Blüten eines Zierstrauches (Rosaceae) und der Pinselkäfer Trichius rosaceus rosaceus (= zonatus) (Foto 5) sowie als Zufallsfunde an der Hauswand: Ebaeus flavicornis und Ptinus sexpunctatus.

Foto 4: Buntkäferart „Bienenwolf“ Trichodes alvearius (Foto: G. Drossel, Pirna)

Foto 5: „Pinselkäfer“ Trichius rosacae rosacae (= zonatus)

Beim Zupfen des Unkrauts, das zwischen dem Betonpflaster wuchs, kamen z.B. Dyschirius angustatus und Elaphropus diabrachys zum Vorschein. Weitere bemerkenswerte Laufkäferarten, die zufällig auf dem Grundstück gefunden wurden, sind Abax carinatus und Pterostichus ovoideus.

Im Herbst konnte mehrfach der Rüsselkäfer Otiorhynchus crataegi (Foto 6) am Haus beobachtet werden. Es handelt sich um eine südeuropäische Art, die über Baumärkte und Topfpflanzen in unsere Breiten verschleppt wird. Der Erstnachweis für Sachsen gelang vor kurzem in Hoyerswerda (Mitteilung von L. Behne).

Foto 6: Rüsselkäfer Otiorhynchus crataegi (Foto: O. Jäger, Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden

Als größte faunistische Besonderheit dieser einjährigen Bestandsaufnahme kann der Fund des Bockkäfers Axinopalpis gracilis genannt werden (Foto 7), der am 17.7.2013 kurz nach Mitternacht auf der Veranda am Licht gefunden wurde. Ebenfalls am Licht wurde beispielsweise der Seidenkäfer (Scraptia fuscula) nachgewiesen.

Foto 7: „Messerbock“ Axinopalpis gracilis (Foto aus Internet: www.krzysztofszt.de)

Insgesamt konnten von Februar bis Dezember dieses Jahres 312 Käferarten nachgewiesen werden. Ein Großteil wurde zufällig bzw. beim Begehen des Gartens und aufmerksamen Beobachtens gefunden. Außerdem wurden einige Arten nachts am Licht beobachtet, und bei kleinen Heu- und Laubhaufen, die extra zu diesem Zwecke belassen wurden, kam gelegentlich ein Käfersieb zum Einsatz.

Sicherlich entwickelt sich nur ein Teil dieser Arten auch direkt auf dem Grundstück. Viele Käfer kommen aus der Umgebung. Überraschend war die große Artenfülle dennoch, darunter 20 unterschiedlich gefährdete Arten aus der bundesdeutschen und sächsischen Roten Liste. Dies kann sich mit der Artausstattung vieler Naturschutzgebiets messen lassen. Welche Fragen und Schlussfolgerungen ließen sich daraus ziehen?

  • Etablierung einer neuen Schutzkategorie: artenreiche, dörfliche Areale?
  • Ist bisher die Erfassungsintensität zur Prüfung der Schutzwürdigkeit von Naturschutzgebieten unzureichend oder gibt es dort tatsächlich so wenig gefährdete Arten?

Alte dörfliche Strukturen, vor allem alte Streuobstwiesen, Gehölze und Gebüsche, extensiv beweidete Wiesen, aber auch Brachen, sogenanntes Unland und verfallende, aufgelassene Grundstücke haben eine nicht zu unterschätzende, naturschutzfachliche Bedeutung. Vieles passt natürlich nicht zum deutschen Ordnungs(wahn)sinn. Dennoch sind alte Dorfkerne als Refugien für die Biodiversität im Allgemeinen sowie für seltene und bedrohte Arten im Speziellen sicherlich nicht zu unterschätzen.

 

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