Vorbemerkungen (je ein Zitat aus den neun vorangegangenen Beiträgen zur „Haus- und Hofkäferfauna“ 2013 bis 2022):
„…Ende 2013 berichtete ich im Beitrag: „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 1“ über die Käfer, die ich im Laufe des Jahres auf dem Grundstück nachgewiesen hatte. Bei gelegentlichen „Gartenexkursionen“, bei gezielten Beobachtungen der Vegetation und bei mehreren Lichtfängen waren etwas mehr als 300 Käferarten zusammengekommen…“
„…Im Jahr 2014 packte mich der Ergeiz und ich intensivierte die Käfererfassungsaktivitäten, indem ich vier Bodenfallen eingrub und alle 14 Tage leerte, eine Fensterkreuzfalle aufhängte und wiederum mehrere Lichtfänge machte. Am Ende des Jahres sind fast 500 Käferarten zusammengekommen, von denen wiederum fast 300 Arten neu waren, d.h. diese 300 Arten hatte ich im Jahr zuvor noch nicht gefunden. Somit sind nach zweijährigem Untersuchungszeitraum etwa 610 Käferarten auf dem Grundstück nachgewiesen worden. Die Ergebnisse sind im Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 2“ dargestellt…“
„…Im Jahr 2015 gingen die Erfassungen mit geringerem Aufwand weiter. Wiederum spazierte ich besonders aufmerksam in den „eigenen vier Zäunen“ umher und alles, was mir an Käfern über den Weg lief, vors Auge flog sowie an der Hauswand oder auf der Vegetation saß, wurde bestimmt und dokumentiert, und falls es unbekannt oder auf den ersten Blick schwer erkennbar war, wurde es genauer unter die Lupe genommen. Zudem ist von Mitte Juni bis Mitte Oktober eine Bodenfalle auf der Wiese unter einem extra belassenen Heuhaufen und eine weitere Bodenfalle mitten im Komposthaufen eingegraben und alle 14 Tage geleert worden. Auch führte ich wieder mehrere Lichtfänge durch. Das Ergebnis am Ende Jahres: 360 Käferarten, darunter 110 neue Arten, d.h. sie wurden in den beiden Jahren zuvor noch nicht nachgewiesen (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 3“)...“
„…Auch in diesem Jahr 2016 wurde die Käferfauna des Grundstücks aufmerksam beobachtet und dokumentiert. Die Fangmethoden waren wiederum das gelegentliche Aussieben von Heu- und Laubhaufen, Klopfschirm- und Kescherfänge sowie Lichtfänge. Außerdem wurde im April und im Juni eine Bodenfalle im Kompost eingegraben und wöchentlich geleert. Am Ende des Jahres sind wieder über 300 Arten nachgewiesen worden mit immerhin fast 80 Neunachweisen, d.h. sie wurden in den drei Jahren zuvor noch nicht gefunden. Innerhalb von vier Jahren sind demnach 800 Käferarten auf dem 1000 qm großen Grundstück gefunden worden! Somit konnten fast 20 % der Arten nachgewiesen werden, die aktuell für ganz Sachsen gemeldet sind…“ (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 4“)…
Im Jahr 2017 gingen die Erfassungen zur Käferfauna des Grundstücks weiter. Die Fangmethoden und der Erfassungsumfang war ähnlich wie in den Vorjahren, d.h. Handfänge, Heu- und Laubgesiebe, 4 Lichtfänge sowie der gelegentliche Einsatz von Streifsack und Klopfschirm. Zudem gab es wieder Bodenfallenerfassungen von Mai bis Juli. Eine Bodenfalle wurde auf der Wiese am Stammfuß des Bergahorn-Hochstubbens eingegraben, was in etwa dem Bodenfallenstandort 2 aus der Erfassung von 2014 entsprach und die andere Bodenfalle auf einer Brache im Südwesten des Grundstücks, d.h. am Bodenfallenstandort 4 aus dem Jahr 2014. Am Ende der Fangsaison 2017 sind 396 Käferarten nachgewiesen worden, darunter etwa 70 Arten, die in den vier vorhergehenden Jahren noch nicht gefunden wurden. Damit erhöht sich die Gesamtartenzahl, die innerhalb von 5 Jahren auf dem 1000 qm großen Gartengrundstück nachgewiesen werden konnten auf 870 Käferarten! ... (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 5“) (die Erhöhung um 10 Arten gegenüber dem Beitrag ist dadurch zu erklären, dass sich im Nachhinein nach der Überprüfung durch Spezialisten doch neue Arten hinzugezählt werden können)…
Natürlich wurde auch im Jahr 2018 die „Haus- und Hoffauna“ wieder relativ akribisch dokumentiert. Fallenfänge sind zwar keine mehr durchgeführt worden. Dafür hat sich die Zahl der Lichtfänge erhöht, weil es wegen des extrem trocken-warmen und lange anhaltenden Sommers von April bis Oktober ausreichend Gelegenheit gab, bei entsprechend hohen Nachttemperaturen von über 20 °C zu leuchten. Bei diesen hohen Temperaturen nach Sonnenuntergang sind viele dämmerungs- und nachtaktive Käferarten besonders flugaktiv. Auf Grund der Lockwirkung durch eine 250 Watt sowie eine 125 Watt Mischlichtlampe, die auf der Terrasse installiert wurden, stammt natürlich ein großer Teil der Käfer, die ans weiße Laken flogen, nicht direkt vom Grundstück, sondern aus der näheren Umgebung des Dorfs. Im Jahr 2018 konnten wieder über 400 Käferarten registriert werden, wobei mehr als 1.700 Individuen erfasst wurden. Überraschend war, dass, wie schon ein Jahr zuvor, eine ähnlich hohe Zahl von ca. 80 „neuen“ Arten nachgewiesen werden konnte, d.h. sie wurden in den 5 Jahren zuvor nicht gefunden. … Viele Neunachweise im Jahr 2018 gelangen mit Hilfe der Lichtfänge.
Da im Jahr 2019 weitere 43 „neue“ Arten nachgewiesen wurden, erhöht sich damit die Gesamtartenzahl auf 1004. Somit ist nach 7 Jahren ziemlich intensiver „Biodiversitätsforschung vor der Haustür“ auf dem heimischen 1000 Quadratmeter großen Grundstück die 1000-Arten-Marke geknackt worden.
Im Jahr 2020 wurden wieder etwas mehr „neue“ Arten (54) nachgewiesen, als im Jahr zuvor. Die Gesamtartenzahl nach 8-jähriger Erfassung im 1000 Quadratmeter großen Grundstück liegt Ende 2020 bei etwa 1060.
Auch im Jahr 2021 wurden wiederum etwas mehr „neue“ Arten (60) gefunden, als im Jahr zuvor, was u.a. auch erfassungsmethodisch bedingt ist, weil, wie 2014 Bodenfallenfänge durchgeführt worden sind. Die Gesamtartenzahl nach 9-jähriger Erfassung im 1000 Quadratmeter großen Grundstück liegt Ende 2020 bei etwa 1120.
Im Jahr 2022 ist die kontinuierliche Erforschung der Käferfauna des Gartengrundstücks weiter fortgesetzt worden, wobei diesmal der Lufteklektorfang am toten Bergahorn-Hochstubben als kontinuierliche Fangmethode wiederholt wurde, wie er auch schon 2014 erfolgt ist. Zudem fanden wieder 4 Lichtfänge (Mai, Juni, Juli, August) und mehrere Gesiebe- bzw. Klopfschalen- und Streifsackfänge statt sowie sonstige Aufsammlungen und Beobachtungen. Als neue Erfassungsmethode kam eine selbst gebaute Berlese-Apparatur zum Einsatz. Bezogen auf die Jahresfangsummen kam 2022 das dritthöchste Ergebnis zusammen. 451 Käferarten konnten nachgewiesen werden, wobei über 1.900 Individuen beobachtet bzw. erfasst und bestimmt wurden. Somit erhöht sich die Gesamtartenzahl im 1000 Quadratmeter großen Grundstück nach 10-jähriger Erfassung auf 1.182 Käferarten.
Im Jahr 2023 erfolgten die Erfassungen vorwiegend mit Hilfe von Klopfschale und Streifsack sowie Lichtfang und Heugesiebe, wobei wieder die im Vorjahr beschriebene Berlese-Flasche zu Einsatz kam. Es konnten 358 Käferarten nachgewiesen werden, darunter 29 „neue“ Arten, das heißt, sie wurden in den vorhergehenden 10 Jahren nicht gefunden, sodass die 1.200-Arten-Marke geknackt werden konnte (Abb. 28_01). Es waren deutlich weniger Arten als die Vorjahre und auch der Zuwachs an „neuen“ Arten ist deutlich niedriger. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang. Der Trend zur Artensättigung scheint sich langsam deutlicher auszuwirken (Abb. 28_02). Der recht große Zuwachs an „neuen“ Arten in den Vorjahren (2018 bis 2022) war ja doch überraschend und ungewöhnlich.
Abb. 28-01: Gesamtübersicht zu den ermittelten jährlichen Artenzahlen (es gibt geringfügige Abweichungen bei den Werten gegenüber den vorjährigen Diagrammen, weil vormals unsichere Bestimmungen durch Spezialisten geklärt werden konnten).
Abb. 28-02: Trendlinie zur Artenakkumulation
Zu einigen der faunistisch interessanten „Neufunde“ gibt es nachfolgend ein paar Erläuterungen:
Am 19. Juni 2023 konnte ein Exemplar dieser unscheinbaren ca. 10 mm großen, feuchtigkeitsliebenden Laufkäferart beim Lichtfang auf der Terrasse nachgewiesen werden. Es gibt nicht allzu viele Fundmeldungen aus Sachsen (Abb. 28-03). Auf Grund der extremen Trockenheit in den vergangenen Jahren hatten viele feuchtigkeitspräferente Arten sicherlich Bestandseinbußen. Im Jahr 2023 gab es zumindest ab der Jahresmitte doch fast „normale“ Niederschlagsmengen. Damit konnte die 132. Laufkäferart auf dem Grundstück nachgewiesen werden und somit reichlich ein Drittel aller aktuell in Sachsen nachgewiesenen Laufkäferarten.
Abb. 24-03: Vom Laufkäfer Pterostichus gracilis gibt es aus vielen Teilen Sachsens keine oder nur ältere Fundmeldungen (www.coleoweb.de).
Ein Exemplar des „Ameisenkäfers“ wurde offensichtlich beim Lichtfang am 19.6.2023 auf die Terrasse gelockt. Laut www.coleoweb.de sind bisher erst wenige Funde dieser Art in Sachsen gemeldet worden (Abb. 28_04), die alle vom Autor stammen. In der darauffolgenden Nacht konnte er sie auch in der Königsbrücker Heide nachweisen, ebenfalls mit Hilfe des Lichtfangs. Nach Koch (1989) werden als Lebensraum u.a. Bruchwälder sowie sumpfige Ufer und Wiesen genannt.
Abb. 28-04: Vom Ameisenkäfer Euconnus hirticollis gibt es bisher erst drei Fundmeldungen aus Sachsen (www.coleoweb.de)
Ebenfalls am 19.6.2023 beim Lichtfang wurde ein Exemplar dieser „Hüpfkäferart“ nachgewiesen. Auf Grund der großen Ähnlichkeit ist die sichere Bestimmung der Arten „Trixagus-carinifrons-Gruppe“ sehr schwierig bzw. nur anhand der Männchen und durch Genitalpräparation möglich. Zum Glück kam hier ein Männchen ans Licht. Damit konnte nun die sechste Trixagus-Art auf dem Grundstück nachgewiesen werden, neben T. dermestoides, T. carinifrons, T. meybohmi, T. leseigneuri und T. gracilis.
Abb. 28-05: Der Hüpfkäfer Trixagus elateroides wurde in Sachsen bisher erst wenige Male nachgewiesen (www.coleoweb.de).
Das erste Exemplar dieser Moderkäferart wurde am 9.4.2023 in einem Gesiebe aus dem Heuhaufen entdeckt, und am 28.9.2023 sind weitere 4 Tiere in der Klopfschale gelandet, nachdem altes Heu ausgeschüttelt wurde. Die Art ist in Sachsen im Jahr 2020 erstmals in der Oberlausitz nachgewiesen worden und 2022 auch bei Leipzig (Hornig 2022). Dies dürfte demnach der dritte Fundort in Sachsen sein. Wenig später wurde der Moderkäfer auch im Interkulturellen Garten Coswig (bei Dresden) mit dem Streifsack nachgewiesen. Die Art stammt ursprünglich aus Australien und wurde bereits seit längerem an den europäischen Küsten respektive Hafenstädten gefunden. Offensichtlich wird die unscheinbare Art regelmäßig durch den internationalen Handel verschleppt und scheint sich bei uns zu etablieren. Eine invasive Ausbreitung dürfte für diese flugunfähige 2 mm kleine Art sicherlich nicht vorzuliegen. Da mit der Globalisierung und dem internationalen Handel immer mehr Waren-Im- und Exporte in immer kürzerer Zeit stattfinden, ist die weitere Verschleppung zwangsläufig. Es ist aber schon merkwürdig, dass die Art erst jetzt in der mehr oder weniger „isolierten ostdeutschen Provinz“ angekommen ist 😉.
Abb. 28-06: Vom neozootische Moderkäfer Cartodere bifasciatus gelang im eigenen Garten der erst dritte Nachweis in Sachsen (nach www.colkat.de).
Dieser „Spitzmäuschen-Rüssler“ ist erst wenige Male in Sachsen gefunden worden (Abb. 28_07). Nach Koch (1992) soll sie oligophag an Flockenblume gebunden sein. Böhme (2001) nennt die Rispen-Flockenblume (Centaurea stoebe) als Fraßpflanze.
Abb. 28-07: Der seltene Spitzmäuschen-Rüssler Ceratapion penetrans entwickelt sich an Flockenblume und wurde erste wenige Male in Sachsen gefunden (www.coleoweb.de).
Am 5.5.2023 wurde zufällig am Fenster des Arbeitszimmers ein Exemplar dieser auffälligen Rüsselkäferart entdeckt. Bisher gibt es nur wenige, aktuelle Fundmeldungen aus Sachsen (www.colkat.de). Die Art soll nach Böhme (2001) an Greiskraut (Senecio) fressen. Davon gibt es auf der wenige Quadratmeter großen, extensiv „bewirtschafteten“ Mähwiese im Garten genügend.
Abb. 28-08: Vom relativ seltenen, an Greiskraut gebunden Rüsselkäfer Lixus punctiventris sind wenige aktuelle Fundmeldungen aus Sachsen bekannt (www.coleoweb.de).
Ein Männchen dieser 2 mm kleinen Rüsselkäferart konnte am 5.6.2023 mittels Streifsackfang gekeschert werden. Nach Böhme (2001) soll die Art an Rauke (Sisymbrium) fressen. Sicherlich gibt es im naturnah bewirtschafteten Garten irgendwo Vertreter dieser Pflanzengattung. Auf Grund eingeschränkter botanischer Kenntnisse ist aber noch nicht bewusst nach einer solchen Fraßpflanze gesucht worden. Unter diesem Trivialnamen fällt beispielsweise auch die „Wilde Rauke“, auch Rucola genannt, die im Kräutergarten als würzige Salatergänzung natürlich auch angebaut wird. Eventuell frisst der Rüsselkäfer auch an dieser Pflanze?
Abb. 28-09: Der nicht häufige an „Rauke“ (Sisymbrium und/oder Rucola) gebundene Rüsselkäfer Ceutorhynchus pyrrhorhynchus wurde erstmals auf dem Grundstück gefunden.
Ähnlich wie schon in den Jahren zuvor fanden vier Lichtfänge statt, wobei schräg über die Terrasse ein weißes Laken gespannt und davor in ca. 1,5 m Höhe eine 125 Watt und eine 250 Watt Mischlichtlampe gehängt wurde (Abb. 28_10). Ende Mai konnten nur 11 Arten angelockt werden, Mitte Juli 79 Arten und Mitte August 49 Arten. Am erfolgreichsten war der Lichtfang am 19. Juni 2023, wobei 112 Käferarten nachgewiesen werden konnten. Das ist das viertbeste Ergebnis. Nur ein Jahr zuvor, am 20.7.2022, kamen 142 Käferarten ans Licht, und am 30.6.2019 waren es 128 Arten sowie am 19.7.2020 immerhin noch 115 Arten.
Abb. 28-10: Terrassen-Lichtfang
Beim Vergleich der Artenzahlen bzw. speziell der Rote-Liste-Arten aus 44 Lichtfängen die von 2013 bis 2023 durchgeführt wurden, könnte man einen Trend über die Zunahme an gefährdeten Arten hineininterpretieren - besonders seit 2018. Dies widerspricht eigentlich dem allgemeinen Aussagen über den Artenrückgang und der Zunahme der Gefährdung vielen Arten. Mit großer Wahrscheinlichkeit spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Auf Grund der von Klimaforschern festgestellten Zunahme an tropischen Nächten, d.h. die Temperaturen sinken nachts nicht unter 20 °C, verbessern sich natürlich auch die Bedingungen für nachtaktive, flugfähige Arten. Wegen der höheren Nachttemperaturen steigt die Aktivität und damit die Fähigkeit größere Distanzen zurückzulegen. Gleichzeitig sterben als Folge der extremen Trockenheit, die vor allem seit 2018 festgestellt wurde, immer mehr Bäume ab. Damit steht beispielsweise vielen Frischholzbesiedlern wesentlich mehr Substrat zur Verfügung. Dies führt zu höheren Populationsdichten, verbunden mit höherem Ausbreitungsdruck. Vor allem die Gruppe der an Frischholz gebundenen Käferarten haben zu dem höheren Anteil an Rote-Liste-Arten geführt. Über den Käferbeifang am Licht gibt es bereits eine Publikation: Lorenz 2010.
Abb. 28-11: Übersicht der Artenzahlen und anteilmäßig der Zahl an Rote-Liste-Käferarten bei den Lichtfängen auf der Terrasse. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde nur die alte Rote Liste Deutschlands verwendet (Geiser 1998)
Zusammenfassung nach 11 Jahren:
Die Gesamtartenzahl, die auf dem 1.000 Quadratmeter großen Grundstück nachgewiesen werden konnte, beläuft sich mittlerweile auf 1.211 Käferarten. Es gibt Abweichungen gegenüber den in den Vorjahren genannten Gesamtartenzahlen, weil es weitere Rückmeldungen von Spezialisten gab, die taxonomisch schwierige Arten (-gruppen) nachbestimmt haben. Bis auf wenige Ausnahmen konnte damit der Artstatus geklärt werden. Bezogen auf die unterschiedlichen Fangmethoden bedeutet dies:
Nach der bundesdeutschen Roten Liste (Geiser et al. 1998 (unter Einbeziehung der bereits publizierten neuen Rote Liste der Laufkäfer Deutschlands von Schmidt et al. 2016 - wodurch gegenüber der alten Roten Liste 11 ursprünglich gefährdete Laufkäferarten nun den Status ungefährdet haben) sind im Garten bisher 114 unterschiedlich stark gefährdete Arten gefunden worden. Eine ähnlich hohe Zahl an gefährdeten Arten konnte ich im Rahmen meiner Dissertation bei den dreijährigen Untersuchungen in der nördlich von Dresden gelegenen Kleinkuppenlandschaft nachweisen. Allerdings umfasst das dortige Untersuchungsgebiet 5 km² (Lorenz 1999). Auch bei einer recht umfangreichen, 3jährigen Erfassung der vorwiegend xylobionten Käferfauna im NSG „Seußlitzgrund“ einschließlich Blatterslebener Grund wurden etwas mehr als 100 Rote-Liste-Arten registriert (siehe auch 19. Beitrag in diesem Blog Lorenz vom Dezember 2020).
Im Jahr 2022 ist die aktualisierte Fassung der sogenannten bundesdeutschen Roten Liste der Käfer publiziert worden, die seit 10 Jahren angekündigt war und wahrscheinlich wegen administrativer, bürokratischer oder sonstiger Unwägbarkeiten verspätet veröffentlicht wurde. Eigentlich muss sie aber eher als westdeutsche Rote Liste aufgefasst werden, weil kaum ein ostdeutscher Koleopterologe daran beteiligt wurde und deren regionalfaunistischen Kenntnisse keine Berücksichtigung fanden. Auf Grund anderer Kriterien (Ludwig et al. 2006), die bei der alten Roten Liste von 1998 noch nicht angewandt wurden und sich an internationale Prämissen anlehnen (Iucn 2000, 2001), besitzen viele Arten nun keinen Gefährdungsstatus nach den Kategorien „1“ (= vom Aussterben bedroht), „2“ (= stark gefährdet) und „3“ (= gefährdet) mehr. Vielfach wurde auch wegen fehlender Daten (oder eher unzureichender durchgeführter Datenrecherche?) kein Gefährdungsgrad vergeben, sondern ein „D“ (= Daten unzureichend) oder ein „V“ (= Vorwarnliste) oder ein „G“ (= Gefährdung unbekannten Ausmaßes). Daraus ergibt sich folgende „neue“ Gefährdungseinstufung für die im Grundstück gefundenen Käfer:
Auf dem Grundstück wurden bisher 52 Arten gefunden, die laut Bundesartenschutzverordnung als „besonders geschützt“ gelten, namentlich: die 2 Sandlaufkäferarten Cicindela campestris und Cicindela hybrida, die 3 Carabus-Arten: Carabus coriaceus, C. convexus, C. nemoralis, der „Bienenwolf“ Trichodes alvearius, 34 Bockkäferarten, die 4 Prachtkäferarten Anthaxia nitidula, Agrilus derasofasciatus, Agrilus cuprescens, Trachys scrobiculata sowie der Ölkäfer Meloe proscarabaeus, die Rosenkäfer-/ Goldkäferarten Cetonia aurata, Protaetia cuprea metallica, Protaetia marmorata, der Nashornkäfer Oryctes nasicornis, der Kopfhornschröter Sinodendron cylindricum und eine Art als „streng geschützt“: der Ölkäfer Meloe rugosus.
Nach Müller et al. (2005) sind 4 „Urwald-Reliktarten“ auf dem Grundstück nachgewiesen worden: Synchita separanda, Neatus picipes, Corticeus fasciatus, Osmoderma eremita, von denen sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch alle vier auf dem Grundstück entwickeln, namentlich am/im Berg-Ahorn-Hochstubben. Der Juchtenkäfer oder Eremit (Osmoderma eremita) gilt laut des europäischen Schutzgebietssystems NATURA 2000 bzw. der FFH-Richtlinie der EU als „prioritäre Art“ des Anhanges II (Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen) und um eine Art des Anhanges IV (Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse) und hat damit europaweit den höchsten Schutzstatus.
Am Fazit vom letztjährigen (Zehnten) Beitrag zur Coleopterenfauna im eigenen Garten“ und die dort erwähnten Anmerkungen hat sich nichts geändert:
Diese Artenvielfalt auf kleinstem Raum ist überraschend und hängt sicherlich nicht nur mit meiner intensiven Erfassungstätigkeit zusammen, sondern einerseits mit der noch vorhandenen und aktiv geförderten Strukturvielfalt auf dem Grundstück, wo sich die Natur in begrenztem Rahmen entfalten kann bzw. zugelassen wird (Belassen von Stehend-Totholz, alternierende Sensenmahd, Heuhaufen, Natursteinmauern, Ansiedlung und Förderung heimischer Pflanzenarten, extensive Gartenbewirtschaftung, Verzicht auf Pestizide usw.) und andererseits mit der stellenweise noch relativ strukturreichen, näheren Umgebung (alte Streuobstwiesen mit extensiver Beweidung, Gehölz mit alten Laubbäumen, „verwilderte“ bzw. ungenutzte Restflächen) - abgesehen von einigen völlig naturentfremdeten, sterilen, nahezu komplett verbauten Grundstücken, wo alles platt gemacht wird, was auch nur ansatzweise nach heimischer Natur aussieht und die industriell bewirtschafteten und damit intensiv gedüngten und begifteten, naturfernen Ackerflächen, die wesentlich zum ökologischen Supergau auf einem Großteil unseres Landes beitragen.
Zusammenfassendes Statement:
Es soll nicht als Widerspruch zum überall festzustellenden Artenschwund und dem Verlust an Biodiversität auf Grund der anthropogen verursachten negativen Veränderungen der Landschaft fehlgedeutet werden, wenn es hier auf lokaler Ebene offenbar noch ein Refugium der Artenvielfalt gibt und das nicht mal in einem Schutzgebiet, sondern in einem fast „durchschnittlichen“ Dorf. Gibt es noch Grund zur Hoffnung, um etwas pathetisch zu fragen? Gibt es gar keinen Artenschwund, sondern nur Panikmache von grünen Spinnern? Wird einfach zu wenig untersucht? Kann sich noch jemand bewusst daran erinnern, wie die Landschaft im Allgemeinen und die Ackersäume und Grundstücke im Speziellen vor 50 Jahren ausgesehen haben? Es gab damals weder Glyphosat noch Laubbläser, Mähroboter oder Steine hinter Gittern. Hängt der Verlust an Artenvielfalt mit der geistigen Einfalt der Leute zusammen? Es scheint, als gäbe es immer mehr Deppen (getreu dem Song von Reinhard Mey: „Irgendein Depp mäht irgendwo immer“), die vorm Haus eher Betonwüsten bevorzugen, mit flächenhaften Steinschüttungen, wo mittendrin eine fremdländische Zombie-Konifere ihr jämmerlichen Dasein fristet und hinterm Haus ein 9-Millimeter-Psychopaten-Kurzrasen vorherrscht (wobei immer mehr Mähroboter zum Einsatz kommen, die permanent jedes Grashälmchen kurzhalten, die der schmerbäuchige Besitzer in Ruhe von der Liege aus mit dem Smartphone überwacht) und an der Grundstücksgrenze ein steriler Kirschlorbeer oder doch besser eine Betonmauer oder „Steinchen hinter Gittern“ Sichtschutz bieten… wo man sich fragt, welche Auswüchse diese totale Naturentfremdung noch auf Lager hat! Andererseits scheint es aber auch immer mehr „empathische“ Leute zu geben, von denen man es gar nicht erwartet, und die haben recht vernünftige Einstellungen gegenüber Natur und deren Förderung und Schutz, auch vor der eigenen Haustür, und dass man auch im Kleinen, das heißt im eigenen Garten der Artenvielfalt eine Chance geben kann/sollte/müsste...