Im September 2016 wurde ich als Fachgutachter von einer Landschaftspflegefirma beauftragt, an einer Baumfällmaßnahme teilzunehmen. Am Rande einer Wohnsiedlung nördlich der Stauffenberg-Allee in Dresden sollte aus Verkehrssicherheitsgründen eine frisch abgestorbene Eiche mit ca. 90 cm Durchmesser am Stammfuß und 26 m Höhe beseitigt werden (Abb. 16-1). Eine Auflage der Naturschutzbehörde war eine ökologische Bauüberwachung bzw. Fällbegleitung, da eine Beeinträchtigung von gesetzlich geschützten Arten befürchtet wurde. Zudem steht gemäß §21 SächsNatSchG ein „höhlenreicher Einzelbaum“ unter Schutz. Auf Grund von Hinweisen auf ein eventuelles Vorkommen des europarechtlich besonders geschützten Juchtenkäfers (Osmoderma eremita) sollte u.a. eine Höhlenbaumkartierung mit Kontrolle nach Besiedlungsspuren durchgeführt werden, um dann entscheiden zu können, ob eine Fällung erfolgen oder Umsetzungsmaßnahmen empfohlen werden sollen.

Abb. 16-1: Erst vor 1 bis 2 Jahren abgestorbene Eiche

Zuerst erfolgte mit Hilfe eines Hubsteiger eine Begutachtung des Hauptstammes und von Starkästen. Es konnten jedoch keine tiefer in den Stamm reichende Höhlen gefunden werden, die als Fledermausbehausungen oder als Mulmhöhlen für eine Besiedlung mit dem Juchtenkäfer geeignet wären. Abstehende Rinde, die als Spaltenquartiere in Frage kommen könnten, wurden ebenfalls nicht gefunden. Dennoch wiesen umfangreiche Stamm- und Starkastpartien abgehackte Rindenstücke auf, die von Spechthieben herrührten. Außerdem konnten viele längs- und querovale Ausschlupflöcher gefunden werden (Abb. 16-2), die von Bock- und Prachtkäfern stammen, wobei keine Artzuordnung möglich war.

Abb. 16-2: Ausschlupflöcher von Bock- und Prachtkäfern sowie durch Spechte abgehackte Rinde

Da die meisten Bock- und Prachtkäferarten laut Bundesartenschutzverordnung gesetzlich geschützt sind, wurde entschieden, dass vorerst zumindest der Hauptstamm und Starkaststummel erhalten bleiben (Abb. 16-3). Dadurch wird den Belangen der Verkehrssicherheit entsprochen, da der senkrecht stehende Hauptstamm nicht umzufallen droht und nur weit ausladende Äste eventuell abbrechen könnten. Gleichzeitig wurde zumindest ein Teil des Entwicklungsortes von gesetzlich geschützten Arten erhalten.

Abb. 16-3: Standsicherer Hochstubben als Lebensraum für gesetzlich geschützte Arten

Ein Teil des Astmaterials wurde von mir mitgenommen, um durch Zucht den Nachweis des Vorkommens von gesetzlich geschützten Arten führen zu können. Die Zucht erfolgte in einem eigens dafür angeschafften Gaze-Zelt (Abb. 16-4) im Zeitraum von März bis Oktober 2017.

Abb. 16-4: Zelt aus Gaze zur Zucht von Holzkäfern, befüllt mit unterschiedlich dicken Aststücken

Im Laufe des Jahres 2017, also 1 Jahr nach dem Absägen (wahrscheinlich das zweite Jahr nach Absterben des Baumes) sind aus wenigen Aststücken insgesamt 18 Käferarten mit fast 400 Individuen geschlüpft. Beispielsweise konnten 7 gesetzlich geschützte Arten laut Bundeartenschutzverordnung nachgewiesen werden (Abb. 16-5).

Abb. 16-5: Liste der 2017 im Gaze-Zelt nachgewiesenen xylobionten Käferarten mit Angaben zu Gefährdungsgrad, Schutzstatus und ökologischen Ansprüchen

Zudem sind einige gefährdete und entomofaunistisch äußerst bedeutsame Arten gefunden worden. Die Rindenkäferart Synchita mediolanensis wurde erstmals in Sachsen nachgewiesen (Abb. 16-6). Von dieser sehr seltenen Art liegen aus Deutschland bisher nur wenige Funde aus Brandenburg und Südwestdeutschland vor.

Abb. 16-6: Erstnachweis für Sachsen: der Rindenkäfer Synchita mediolanensis (Foto: Olaf Jäger, Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden)

Die Jagdkäferart Tenebroides fuscus ist in Sachsen bisher erst wenige Male gefunden worden (Abb. 16-7). Sie kommt v.a. unter der Rinde sehr alter Laubbäume vor.

Abb. 16-7: Große Seltenheit in Sachsen: der Jagdkäfer Tenebroides fuscus (Foto: Johannes Reibnitz, Naturkundemuseum Stuttgart)

Die Ergebnisdarstellung sowie eine naturschutzfachliche Interpretation des Zuchtexperiments von 2017 ist in der Zeitschrift „Naturschutz und Landschaftsplanung“ publiziert worden (LORENZ 2018). Auch im Jahr 2018 wurden die Astholzstücke im Zuchtbehälter belassen und erst im Oktober 2018 entnommen, wobei das Holzgenagsel und abgeplatzte Rindenstücke, das sich am Boden des Gaze-Zeltes angesammelt hatte, zusammengekehrt und anschließend unter einer Lupenlampe das im Kehrricht enthaltene, meist vertrocknete Käfermaterial ausgelesen. Es konnten nur noch einige Bockkäfer (v.a. Pyrrhidium sanguineum und Phymatodes testaceus), je ein weiteres Exemplar vom Jagdkäfer Tenebroides fuscus und vom Rindenkäfer Synchita mediolanensis, je zwei Exemplare des Borkenkäfers Scolytus intricatus und des Binden-Baumschwammkäfers Litargus connexus sowie 5x der Moderkäfer Lathridius minutus, jedoch keinerlei Prachtkäfer nachgewiesen werden. Zudem wurde noch eine weitere faunistisch bedeutsame Art gefunden: der Plattkäfer Notolaemus unifasciatus. Nach bisherigem Kenntnisstand (colkat) gibt es von dieser Art nur eine sehr alte Fundmeldung aus Sachsen. Somit handelt es sich um einen Wiederfund nach über 100 Jahren.

Abb. 16-8: Wiederfund für Sachsen nach über 100 Jahren: der Plattkäfer Notolaemus unifasciatus (Foto: Udo Schmidt)

Außerdem konnten weitere vier „neue“ Arten gefunden werden, d.h. sie wurden im Vorjahr noch nicht nachgewiesen: der Plattkäfer Placonotus testaceus, der Scheinrüsselkäfer Salpingus planirostris, der Kurzflügler Amischa analis sowie 4 Exemplare des Faulholzkäfers Sericoderus lateralis. Damit erhöht sich die Artenzahl der Eichenastholz-Käferzucht nach 2 Jahren auf 23 und die Individuenzahl auf ca. 450 Tiere. Wegen der extremen Austrocknung des Holzes nach 2 Jahren ist eigentlich nicht mehr mit dem Schlupf weiterer Käferarten zu rechnen und das Experiment wurde beendet.

Fazit

Es konnte nachgewiesen werden, dass sich selbst in einigen wenigen Astholzstücken einer frisch abgestorbenen Eiche eine große Zahl gesetzlich geschützter Arten entwickelt. Solche Aststücke werden heutzutage durch den Baumpflegewahn normalerweise geschreddert und die darin lebenden, gesetzlich geschützten und/oder gefährdeten Arten bzw. deren Entwicklungsstadien getötet. Die Erhaltung zumindest eines Teils des Astholzes sollte als naturschutzpraktische Maßnahme stärker Berücksichtigung finden. Zum Schluss noch eine Präzisierung, die nicht als Plädoyer für den Anbau fremdländischer Baumarten angesehen werden soll: Bei dem Baum handelt es sich um eine Amerikanische Weiß-Eiche (Quercus alba).

Literatur

LORENZ, J. (2018): Beobachtungen zum naturschutzfachlichen Wert von Astholz – Naturschutz und Landschaftsplanung 50 (9): 325-329.

Previous Post Next Post