1. Vorbemerkungen
Bockkäfer sind eine relativ gut untersuchte Käfergruppe. Das heimische Artenspektrum umfasst aktuell etwa 130 Arten, die sich meist recht gut nach äußeren Merkmalen bestimmen lassen. Kennzeichnend für viele Bockkäfer sind die schlanke Gestalt mit langen Fühlern und eine recht auffällige Färbung. Insofern kann man sie fast schon als Sympathieträger bezeichnen, da die meisten Insekten in der breiten Öffentlichkeit unter einem überwiegend negativ behafteten Image „leiden“. Einer der schönsten heimischen Bockkäferarten ist sicherlich der „Leiterbock“ Saperda scalaris (Linné, 1758) (Abb. 10-1).
Abb. 10-1: Leiterbock Saperda scalaris (Linné, 1758)
Auf Grund des relativ hohen Bekanntheitsgrades und der ökologischen Ansprüche sind Bockkäfer von recht großer bioindikatorischer und naturschutzfachlicher Relevanz. Eine Reihe von Arten ist an Altholz bzw. alte Wälder mit einer langen Biotoptradition gebunden. Zudem sind sie bis auf wenige Ausnahmen laut Bundesartenschutzverordnung gesetzlich besonders geschützt. Einen hohen Schutzstatus hat beispielsweise der auch in Sachsen vorkommende Heldbock Cerambyx cerdo, eine Art der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie der Europäischen Union.
2. Datenbasis
Zu den ersten Käfern, die ich als 13jähriger Schüler sammelte und präparierte, gehörten natürlich auch Bockkäfer, namentlich einer der bei uns häufigsten Arten: der Schmalbock Stenurella melanura (Linné, 1758). Das „älteste“ Exemplar in meiner Sammlung stammt vom 20.7.1979 aus der Gegend um Langenberg in der Nähe meines Geburtsortes Limbach-Oberfrohna westlich von Chemnitz. Während des Studiums der Forstwissenschaften an der TU Dresden in Tharandt und eines anschließenden 3jährigen Forschungsstudiums konnten u.a. auch die Kenntnisse zur Taxonomie und Ökologie der heimischen Bockkäfer vertieft werden. In der zurückliegenden über 20jährigen beruflichen Tätigkeit waren auch Bockkäfer gelegentlich Untersuchungsgegenstand, beispielsweise bei Gutachten zur Bewertung der Schutzwürdigkeit unterschiedlicher Waldlebensräume, Parks, Streuobstwiesen und sonstiger Gehölze. Es gibt Bockkäferfunddaten aus über 50 sächsischen Naturschutzgebieten und Flächennaturdenkmalen. Auch viele freizeitentomologische Aktivitäten erbrachten neue Kenntnisse zu Vorkommen, Verbreitung, Ausbreitung oder Rückgang von Bockkäferarten.
Bisher sind Daten zu 110 Bockkäferarten zusammengekommen, die an etwa 500 verschiedenen Fundorten in Sachsen nachgewiesen werden konnten (Abb. 10-2). Die eigene Datenbank umfasst knapp 2.300 Datensätze über, bis auf wenige Ausnahmen, eigene Bockkäferfunde. Erfassungsschwerpunkt ist das Obere Elbtal zwischen Meißen, Dresden und Pirna sowie die Sächsische Schweiz und das Osterzgebirge. Aber auch aus der Oberlausitz und dem Mittleren Erzgebirge stammen viele Funde (Abb. 10-2).
Abb. 10-2: Erfassungstiefe zu Bockkäfern in Sachsen (überwiegend eigene Funde)
3. Anmerkungen zu einigen Bockkäferarten
Einer der mit Abstand am häufigsten registrierte Bockkäfer ist der bereits oben erwähnte Schmalbock Stenurella (Strangalia) melanura (Linné, 1758), gefolgt von den ebenfalls sehr häufigen Pseudovadonia (Leptura) livida (Fabricius, 1777), Grammoptera ruficornis (Fabricius, 1781), Alosterna tabacicolor (DeGeer, 1775), Rutpela (Strangalia/ Leptura) maculata (Poda von Neuhaus, 1761) und Pachytodes (Judolia) cerambyciformis (Schrank, 1781). Hierbei handelt es sich typische „Blütenböcke“, d.h. um Arten, die man regelmäßig auf v.a. Doldenblüten findet. Hinzu kommen häufige Arten, die an Fichten- und Kiefernholz gebunden sind, beispielsweise der Rothalsbock Stictoleptura (Leptura) rubra (Linné, 1758), die zwei „Zangenböcke“ Rhagium inquisitor (Linné, 1758) und Rhagium bifasciatum Fabricius, 1775 und der „Kurzdeckenbock“ Molorchus minor (Linné, 1758). Recht häufig an verschiedenem Laubholz zu finden sind z.B. auch das „Widderböckchen“ Clytus arietis (Linné, 1758), der Zangenbock Rhagium mordax (DeGeer, 1775), der Scheibenbock Phymatodes testaceus (Linné, 1758), das Pflaumenböckchen Tetrops praeustus (Linné, 1758) sowie der Schmalbock Leptura (Strangalia) quadrifasciata (Linné, 1758). Die meisten eigenen Fundpunkte gibt es allerdings von Leiopus nebulosus (Linné, 1758) s.l., den man regelmäßig von frisch abgestorbenen Laubholzästen klopfen kann. Allerdings soll es sich um ein Artenpaar handeln, dass vor kurzem in zwei „Arten“ aufgespalten wurde (Wallin 2009). Eine sichere Artunterscheidung soll v.a. anhand der Genitalpräparation von Männchen und Weibchen möglich sein. Nun übersteigt es die zeitliche und räumliche Kapazität, von allseits bekannten, häufigen Arten jedes beobachtete Tier mitzunehmen und zu präparieren. Insofern müssen alle bisher nur registrierten Funddaten, d.h. von denen keine Belegtiere präpariert wurden, mit einem Fragezeichen versehen werden. Angeblich sollen beide Arten nebeneinander vorkommen. Fraglich bzw. zu überprüfen wäre, ob es eine eindeutige ökologische Differenzierung gibt, und ob sich beide „Arten“ in der Natur begegnen und eventuell miteinander kreuzen bzw. ob daraus Nachkommen hervorgehen, die noch vertil sind...?
Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Bockkäferarten, die nur selten gefunden werden. Diese Seltenheit kann damit zusammenhängen, dass es sich tatsächlich um ausgesprochene Raritäten handelt, die nur sehr lokal verbreitet sind sowie spezifische Lebensraumansprüche und ein geringes Ausbreitungsvermögen haben, beispielsweise der Widdenbock Chlorophorus herbstii (Brahm, 1790), den ich bisher nur in Dresden gefunden habe oder der Zangenbock Rhagium sycophanta (Schrank, 1781) aus den linkselbischen Tälern zwischen Dresden und Meißen sowie vier Bockkäferarten, die ich bisher nur in der Sächsischen Schweiz fand: Monochamus saltuarius Gebler, 1830 (Abb. 10-3), Etorofus (Pedostrangalia) pubescens (Fabricius, 1787) (Abb. 10-4), Pachyta quadrimaculata (Linné, 1758) (Abb. 10-5) und Callidium coriaceum (Paykull, 1800).
Abb. 10-3: Langhornbock Monochamus saltuarius Gebler, 1830
Abb. 10-4: Behaarter Schmalbock Etorofus (Pedostrangalia) pubescens (Fabricius, 1787)
Abb. 10-5: Pachyta quadrimaculata (Linné, 1758 )
Andererseits kann es sich aber auch um eine angebliche Seltenheit handeln, die nur auf einer versteckten Lebensweise beruht. Mit speziellen Nachweismethode oder gezielter Suche nach den spezifischen Entwicklungshabitaten dürften einige Arten sicherlich regelmäßiger zu finden sein. Beispielsweise hat sich in den vergangenen Jahren der Einsatz von Lufteklektoren (Fensterkreuzfallen) etabliert. Damit können sogenannte Wipfelarten öfters nachgewiesen werden, d.h. Arten, die sich vorwiegend in den Baumkronen aufhalten und nur selten am Boden zu finden sind, beispielsweise der an Zitterpappel gebundene Obrium cantharinum (Linné, 1767) (Abb. 10-6), der bei Kodersdorf in der Oberlausitz und bei Blattersleben nordwestlich von Meißen nachgewiesen werden konnte, indem gezielt Lufteklektoren in alte Zitterpappeln gehängt wurden. 2016 fand ich die Art auch am Lichtfangtuch bei mir auf der Terrasse.
Abb. 10-6: Obrium cantharinum (Linné, 1767)
Möglicherweise ist für den gehäuften Nachweis in den vergangenen Jahren auch eine Kombination aus neuen Nachweismethoden und Ausbreitungstendenzen verantwortlich. Einige Beispiele sollen genannt werden:
Grammoptera abdominalis (Stephens, 1831) wird erst seit einigen Jahren und überwiegend mittels Lufteklektoren nachgewiesen (Abb. 10-7). In der Sammlung des sächsischen Bockkäferspezialisten Helmut Nüssler befindet sich kein Tier. Er schrieb in seiner „Bockkäferfauna der Umgebung von Dresden“ über die Art, die damals noch Grammoptera variegata hieß: „ Nur in wenigen Stücken in den coll. vorhanden. Tharandt, 2 Expl., leg u. coll. H. (gemeint ist: H. Hänel, Dresden d. A.); Umg. Dresden, 1 Expl. In coll. N. (gemeint ist: Prof. Noesske, Dresden d. A.); Saubachtal, 1 Expl. am 12. VI. 1938.“ (diese Tier in coll. Nüssler ist wahrscheinlich verschollen?) (Nüssler 1964, zit. S. 175). Es kann ausgeschlossen werden, dass er in seiner langjährigen Sammeltätigkeit diese Art übersehen hat. In Nüssler (1994) wird dann ein Fund aus dem Jahr 1986 von Erhard Jantke erwähnt, der sie im Saubachtal bei Meißen fand. Neuerdings ist Grammoptera abdominalis sogar auf Blüten bei Freital, dem Heimatort von Helmut Nüssler, beobachtet worden (mündl. Mitt. Dr. Hannes Rietzsch).
Abb. 10-7: Eigene Funde von Grammoptera abdominalis (Stephens, 1831)
Anisarthron barbipes (Schrank, 1781) ist das zweite Beispiel. Die Art wurde in den vergangenen Jahren auch vorwiegend mittels Lufteklektoren nachgewiesen (Abb. 10-8). Bei Nüssler (1964) werden wenige Fundorte aus der Umgebung Dresdens genannt.
Abb. 10-8: Eigene Funde von Anisarthron barbipes (Schrank, 1781)
Axinopalpis gracilis (Krynicki, 1832) kann als ziemlich seltene Art angesehen werden, wurde aber in den vergangenen Jahren mehrfach vor allem mittels Lichtfang nachgewiesen (Abb. 10-9). Bei Nüssler (1964, 1974, 1983, 1994) wird die Art nicht genannt. Bei fast allen eigenen Nachweisen kam die zur Erfassung von Nachfaltern übliche Technik zum Einsatz: eine 125 W bzw. 250 W Mischlichtlampe, die vor ein weißes Laken hängt. Erstaunlicherweise kam Axinopalpis gracilis fast immer erst kurz nach Mitternacht (Sommerzeit) ans Licht, und es herrschte eine sehr warme, hochsommerliche Witterung vor. Genau 13 Jahre nach dem meinem Erstfund (mein einziger per Handfang bzw. Klopfschirmfang) hat mein Kumpel Dr. Hans-Peter Reike die Art auf einer gemeinsamen Exkursion an gleicher Stelle bei Zöthain ebenfalls von Eiche geklopft (Jäger & Lorenz 2015).
Abb. 10-9: Eigene Funde von Axinopalpis gracilis (Krynicki, 1832)
Aber auch andere Arten, die mittels Handaufsammlungen kaum gefunden werden, wurden mehrfach mittels Lichtfang nachgewiesen, beispielsweise Acanthocinus griseus (Fabricius, 1792) in der (Abb. 10-10) (siehe auch Lorenz 2010).
Abb. 10-10 Eigene Funde von Acanthocinus griseus (Fabricius, 1792)
Darüber hinaus könnte man bei einigen Arten offenbar von einer Arealerweiterung/ Ausbreitung/ Häufigkeitszunahme ausgehen, wie folgende drei beispiele zeigen sollen.
Vom Rothaarbock Pyrrhidium sanguineum (Linné, 1758) gab nach Nüssler (1964) nur wenige Funde aus dem Elbtal. Im 10 Jahre später erschienenen Nachtrag wird ein Wiederfund aus dem Plauenschen Grund (zwischen Dresden und Freital) aus dem Jahr 1968 gemeldet (Nüssler 1974) und für das Jahr 1981 einen weiteren Nachweis aus Moritzburg (Nüssler 1983). Seit 2003 sind mehrere Funde dieser auffälligen Art geglückt, meist im Frühjahr an besonnten, frisch geschlagenen oder umgebrochenen Eichenholz (Abb. 10-11).
Abb. 10-11: Eigene Funde von Pyrrhidium sanguineum (Linné, 1758)
Den Eichen-Widderbock Plagionotus detritus (Linné, 1758) erwähnt bereits Nüssler (1964), allerdings wird eine Einschleppung vermutet, und deshalb stellt er ein autochthones Vorkommen in der Umgebung von Dresden in Frage. Wiederum 10 Jahre später werden im ersten Nachtrag (Nüssler 1974) zwei Fundmeldungen aus Freiberg und Moritzburg genannt, allerdings ohne Datumsangaben. Bei Nüssler (1983) werden aktuelle Nachweise aus den Jahren 1977 und 1981 von Erhard Jantke mitgeteilt, der die Art in Anzahl an frisch geschlagenen Eichen im Moritzburger Wald gefunden hat (Abb. 10-12).
Abb. 10-12: Eigene Funde von Plagionotus detritus (Linné, 1758)
Bei Nüssler (1964) wird ein Vorkommen von Xylotrechus rusticus (Linné, 1758) im Dresdner Raum infrage gestellt, da es nur eine alte Literaturangabe aus dem Plauenschen Grund gab, aber keine Sammlungsbelege oder Neufunde. Tatsächliche Nachweise gelangen Erhard Jantke 1985 in Coswig zwischen Meißen und Radebeul (Nüssler 1994) sowie Uwe Hornig in Dresden (Hornig 1995). Seit 2011 ist die Art plötzlich an mehreren Stellen in Sachsen gefunden worden. Mein Kumpel Olaf Jäger machte mich auf das Vorkommen in der Kleinraschützer Heide westlich von Großenhain aufmerksam, wo die Art an umgekippten, aber noch lebenden Birken zu finden war. Später fand ich Xylotrechus rusticus in der Oberlausitz an Zitterpappel und in Nordsachsen am Muldeufer an einer umgebrochenen Schwarzpappel und in diesem Jahr brachte mir meine Frau ein Tier, dass sie bei uns im Garten fand (Abb. 10-13). Mittlerweile sind weitere Nachweise aus Sachsen bekannt geworden, z.B. auch von Hybrid-Pappel in Dresden (mündl. Mitt. Michael Mende).
Abb. 10-13: Eigene Funde von Xylotrechus rusticus (Linné, 1758)
Abschließend sollen auch zwei importierte Arten genannt werden, die im Zuge des Kontinente überschreitenden Handels zu uns gelangt sind, sich aber offensichtlich noch nicht etabliert haben. Im Februar 2008 brachte mir ein Bekannter einen zertretenen großen Bockkäfer mit, den er mitten in Dresden auf der Prager Straße gefunden hatte. Es handelt sich um den aus Ostasien stammenden Asiatischen Laubholzbock Anoplophora glabripennis (Motschulsky, 1853), der sicherlich mit importierten Topfpflanzen oder Bauholz/ Palettenholz eingeschleppt wurde (Abb. 10-14). Er gilt als Quarantäneschädling auf den eigens Spürhunde abgerichtet werden, um einen Befall so schnell wie möglich festzustellen damit befallenes Holz und Bäume sofort vernichtet wird, um die befürchtete invasiven Ausbreitung zu verhindern.
Abb. 10-14: Zertretenes Exemplar des Asiatischen Laubholzbockes Anoplophora glabripennis (Motschulsky, 1853), gefunden auf der Prager Straße im Stadtzentrum von Dresden
Vor 3 Jahren fand eine Bekannte in einem Baumarkt in Freital den aus Asien stammenden Bambusbock Chlorophorus annularis (Fabricius, 1787) in Verpackungsmaterial und überließ mir freundlicherweise das Belegtier (Abb. 10-15).
Abb. 10-15: Bambusbock Chlorophorus annularis (Fabricius, 1787), der in einem Baumarkt in Freital gefunden wurde
4. Literatur