Biodiversitätsforschung vor der Haustür

Vorbemerkungen (je ein Zitat aus den fünf vorangegangenen Beiträgen zur „Haus- und Hofkäferfauna“ 2013 bis 2017):

„…Ende 2013 berichtete ich im Beitrag: „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 1“ über die Käfer, die ich im Laufe des Jahres auf dem Grundstück nachgewiesen hatte. Bei gelegentlichen „Gartenexkursionen“, bei gezielten Beobachtungen der Vegetation und bei mehreren Lichtfängen waren etwas mehr als 300 Käferarten zusammengekommen…“

„…Im Jahr 2014 packte mich der Ergeiz und ich intensivierte die Käfererfassungsaktivitäten, indem ich vier Bodenfallen eingrub und alle 14 Tage leerte, eine Fensterkreuzfalle aufhängte und wiederum mehrere Lichtfänge machte. Am Ende des Jahres sind fast 500 Käferarten zusammengekommen, von denen wiederum fast 300 Arten neu waren, d.h. diese 300 Arten hatte ich im Jahr zuvor noch nicht gefunden. Somit sind nach zweijährigem Untersuchungszeitraum etwa 610 Käferarten auf dem Grundstück nachgewiesen worden. Die Ergebnisse sind im Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 2“ dargestellt…“

„…Im Jahr 2015 gingen die Erfassungen mit geringerem Aufwand weiter. Wiederum spazierte ich besonders aufmerksam in den „eigenen vier Zäunen“ umher und alles, was mir an Käfern über den Weg lief, vors Auge flog sowie an der Hauswand oder auf der Vegetation saß, wurde bestimmt und dokumentiert, und falls es unbekannt oder auf den ersten Blick schwer erkennbar war, wurde es genauer unter die Lupe genommen. Zudem ist von Mitte Juni bis Mitte Oktober eine Bodenfalle auf der Wiese unter einem extra belassenen Heuhaufen und eine weitere Bodenfalle mitten im Komposthaufen eingegraben und alle 14 Tage geleert worden. Auch führte ich wieder mehrere Lichtfänge durch. Das Ergebnis am Ende Jahres: 360 Käferarten, darunter 110 neue Arten, d.h. sie wurden in den beiden Jahren zuvor noch nicht nachgewiesen (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 3“)...“

„…Auch in diesem Jahr 2016 wurde die Käferfauna des Grundstücks aufmerksam beobachtet und dokumentiert. Die Fangmethoden waren wiederum das gelegentliche Aussieben von Heu- und Laubhaufen, Klopfschirm- und Kescherfänge sowie Lichtfänge. Außerdem wurde im April und im Juni eine Bodenfalle im Kompost eingegraben und wöchentlich geleert. Am Ende des Jahres sind wieder über 300 Arten nachgewiesen worden mit immerhin fast 80 Neunachweisen, d.h. sie wurden in den drei Jahren zuvor noch nicht gefunden. Innerhalb von vier Jahren sind demnach 800 Käferarten auf dem 1000 qm großen Grundstück gefunden worden! Somit konnten fast 20 % der Arten nachgewiesen werden, die aktuell für ganz Sachsen gemeldet sind…“ (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 4“)…

„Im Jahr 2017 gingen die Erfassungen zur Käferfauna des Grundstücks weiter. Die Fangmethoden und der Erfassungsumfang war ähnlich wie in den Vorjahren, d.h. Handfänge, Heu- und Laubgesiebe, 4 Lichtfänge sowie der gelegentliche Einsatz von Streifsack und Klopfschirm. Zudem gab es wieder Bodenfallenerfassungen von Mai bis Juli. Eine Bodenfalle wurde auf der Wiese am Stammfuß des Bergahorn-Hochstubbens eingegraben, was in etwa dem Bodenfallenstandort 2 aus der Erfassung von 2014 entsprach und die andere Bodenfalle auf einer Brache im Südwesten des Grundstücks, d.h. am Bodenfallenstandort 4 aus dem Jahr 2014. Am Ende der Fangsaison 2017 sind 396 Käferarten nachgewiesen worden, darunter etwa 70 Arten, die in den vier vorhergehenden Jahren noch nicht gefunden wurden. Damit erhöht sich die Gesamtartenzahl, die innerhalb von 5 Jahren auf dem 1000 qm großen Gartengrundstück nachgewiesen werden konnten auf 870 Käferarten! ... (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 5“) (die Erhöhung um 10 Arten gegenüber dem Beitrag ist dadurch zu erklären, dass sich im Nachhinein nach der Überprüfung durch Spezialisten doch neue Arten hinzugezählt werden können)"



Natürlich wurde auch im Jahr 2018 die „Haus- und Hoffauna“ wieder relativ akribisch dokumentiert. Fallenfänge sind zwar keine mehr durchgeführt worden. Dafür hat sich die Zahl der Lichtfänge erhöht, weil es wegen des extrem trocken-warmen und lange anhaltenden Sommers von April bis Oktober ausreichend Gelegenheit gab, bei entsprechend hohen Nachttemperaturen von über 20 °C zu leuchten. Bei diesen hohen Temperaturen nach Sonnenuntergang sind viele dämmerungs- und nachtaktive Käferarten besonders flugaktiv. Auf Grund der Lockwirkung durch eine 250 Watt sowie eine 125 Watt Mischlichtlampe, die auf der Terrasse installiert wurden, stammt natürlich ein großer Teil der Käfer, die ans weiße Laken flogen, nicht direkt vom Grundstück, sondern aus der näheren Umgebung des Dorfs.

Im Jahr 2018 konnten wieder über 400 Käferarten registriert werden, wobei mehr als 1.700 Individuen erfasst wurden. Überraschend war, dass, wie schon ein Jahr zuvor, eine ähnlich hohe Zahl von fast 70 „neuen“ Arten nachgewiesen werden konnte, d.h. sie wurden in den 5 Jahren zuvor nicht gefunden. Entsprechend ökologischer Gesetzmäßigkeiten ist eigentlich zu erwarten gewesen, dass nach einer solchen mehrjährigen, relativ intensiven Erfassungen eine Artensättigung eintritt, d.h. dass keine oder kaum noch neuen Arten mehr nachgewiesen werden, weil das gesamte vorhandene Artenspektrum irgendwann einmal erfasst ist bzw. nach jedem Untersuchungsjahr die Zahl „neuer“ Arten exponentiell abnimmt bis keine/ oder zumindest deutlich weniger Neunachweise mehr registriert werden. Viele Neunachweise im Jahr 2018 gelangen mit Hilfe der Lichtfänge. Vor allem der Lichtfang am 20.6.2018 war mit 105 Arten sehr erfolgreich. Beim Lichtfang drei Wochen zuvor, am 31.5.2018, sind immerhin schon 60 Käferarten nachgewiesen worden, am 16.7.2018 waren es 74 Käferarten, am 31.7.2018 nochmals 84 Arten. Am 29.8.2018 konnten nur noch 41 Arten registriert werden. 14 Tage später, am 12.9.2018 waren es nur noch 21 Arten. Nur eine Woche später, am 19.9.2018, war aber noch mal ein deutlicher Anstieg mit 54 Arten zu verzeichnen und selbst am 11.10.2018 sind immerhin noch 14 Arten ans Licht geflogen. Dennoch sind auch durch die Handfänge wieder viele neue Arten gefunden worden, beispielsweise auch flugunfähige Arten, wie die zwei Ölkäferarten Meloe proscarabaeus und Meloe rugosus (siehe ausführliche Fundmitteilung unten). Es stellt sich die Frage, ob ich die Arten in den Jahren zuvor übersehen hatte oder ob sie tatsächlich neu „eingewandert“ sind. Obwohl die Käfer flugunfähig sind, kann sich die Art, auf Grund ihrer spezifischen Biologie, über größere Entfernungen indirekt fliegend ausbreiten. Das erste Larvenstadium der Ölkäfer nennt man Triunulinus-Larven (siehe auch Beitrag Nr. 5). Nachdem sie aus dem Ei geschlüpft sind, klettern diese Triungulinus-Larven auf Blüten, um sich an blütenbesuchende Insekten festzuklammern. Nur wenn es sich dabei um bestimmte Wildbienenarten handelt und diese mit der Triungulinus-Larve im Schlepptau zu ihrer Bruthöhle fliegt, um darin den gesammelten Nektar für die eigene Brut abzuladen, wäre die Ölkäfer-Larve am Ziel, weil sie sich nur von der Bienenbrut ernähren kann.

Nun wurde auch schon in den vorhergehenden Beiträgen erwähnt, dass sich ein bestimmter Anteil von Arten nicht tatsächlich auf dem Grundstück entwickeln dürfte, sondern aus der Umgebung stammt. Die meisten Käferarten sind gut flugfähig, und vor allem mit Hilfe des Lichtfanges sind natürlich viele Arten aus der Umgebung angelockt worden. Obwohl nur von den wenigsten Arten konkret die Larven auf dem Grundstück gefunden wurden bzw. bestimmt werden können, beispielsweise die engerlingsartigen Larven des Rosenkäfers (Cetonia aurata) beim Umsetzen und Durchsieben des Komposthaufens, wird aber davon ausgegangen, dass sich viele kleine Arten, die regelmäßig mit Hilfe der Heu- und Laubgesiebe-Methode nachgewiesen werden, mit großer Wahrscheinlichkeit auch in diesem Substrat entwickeln. In folgendem Kreisdiagramm sind alle Arten entsprechend ihrer jahresbezogenen objektiven Fanghäufigkeit abgebildet, um sie anschließend einer zugegebenermaßen subjektiven Einteilung einem Entwicklungsstatus zuzuordnen (Abb. 15-01).

Abb. 15-01: Fangstetigkeit seit Beginn der Erfassung vor 6 Jahren

Nur jeweils knapp 8 % aller Arten konnten in jedem bzw. in 5 von 6 Jahren nachgewiesen werden. Fast 40 % der Arten sind nur in einem der sechs Untersuchungsjahre gefunden worden.

Natürlich kann es sein, dass eine Art jedes Jahr in mehreren Exemplaren gefunden wurde und sich dennoch außerhalb des Grundstücks reproduziert. Ebenso ist es möglich, dass man bei einem Nachweis eines einzelnen Käfers im gesamten Zeitraum von 6 Jahren davon ausgehen kann, dass auf dem Grundstück auch die Reproduktion stattgefunden haben muss. Dennoch wurde versucht, entsprechend der bekannten Ökologie und Biologie der Arten eine realistische Einschätzung zur Reproduktionswahrscheinlichkeit zu treffen. Insofern sind in folgenden Diagrammen die absoluten Werte nur als Anhaltspunkte zu verstehen (Abb. 15-02).

Abb. 15-02: Vermutung zu Zahl der Arten bezüglich Reproduktion auf dem Grundstück

Bei etwa 30 % der nachgewiesenen Arten (ca. 300) ist eine Reproduktion auf dem Grundstück sehr wahrscheinlich und bei weiteren 30 % kann dies nicht ausgeschlossen werden. Ein Drittel der auf dem Grundstück gefundenen Arten dürfte sich definitiv außerhalb entwickeln, beispielsweise ein Großteil der aquatischen Arten. Auch viele xylobionte Arten mit Bindung an Frischholz (viele Bockkäferarten, wie der sich in Eichenästen entwickelnde Axinopalpis gracilis, der an Pappeln gebundene Obrium cantharinum, der an Linde vorkommende Stenostola dubia oder der an Ulmen lebende Exocentrus punctipennis) oder typische Baumhöhlenbesiedler, wie der Juchtenkäfer Osmoderma eremita) stammen sicherlich aus dem nördlich gelegenen Gehölz und/oder den nordöstlich und südwestlich befindlichen Streuobstwiesen. Bei den importierten Arten handelt es sich nachweislich um bewusst (Eintrag von Feuerholz oder natürliches Dekomaterial, wie z.B. Rebstöcke) oder unbewusst (sogenannte Vorratsschädlinge, z.B. der Getreideplattkäfer Oryzaephilus surinamensis, oder „Gartenmarkt“-Arten, wie der Dickmaulrüssler Otiorhynchus crataegi oder die an Malven gebundenen Rüsselkäfer Malvapion, Aspidapion) eingeschleppten Arten.

Die aus meiner lokal- und regionalfaunistischen Sicht bemerkenswerten „neuen“ Arten aus dem Jahr 2018 sowie einige interessante Arten, die aber auch schon in den vergangenen Jahren gefunden wurden, sind in folgender Tabelle zusammengestellt:

Abb. 15-03: Faunistisch bemerkenswerte Arten aus dem Jahr 2018

Von den Neufunden sollen im Folgenden einige faunistisch interessante Arten ausführlicher erläutert werden:

Anthicus schmidtii ROSENHAUER, 1847

Beim Lichtfang am 20. Juni 2018 wurde auf der Terrasse 1 Exemplar erfasst. Im Online-Deutschland-Katalog colkat war die Art Anfang 2019 noch nicht gemeldet. Somit könnte es sich um einen Erstnachweis für die Käferfauna Deutschlands handeln. Eine Recherche im Internet ergab, dass die Art beispielsweise in Tschechien westlich von Prag bei der Ortschaft Kladno gefunden wurde (Abb. 15-1).

Abb. 15-04: Der Ameisenkäfer Anthicus schmidtii (Foto: O. Jäger, Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden)

Tachys fulvicollis (DEJEAN, 181)

Beim Lichtfang am 20. Juni 2018 wurde auf der Terrasse 1 Exemplar erfasst (Abb. 15-2). Im Online-Deutschland-Katalog colkat gibt es nur wenige Fundmeldungen aus Deutschland. Aus Sachsen sind bisher zwei Funde bekannt, einerseits aus der Oberlausitz und andererseits aus dem Leipziger Raum. In der Roten Liste der Laufkäfer Sachsens (GEBERT 2009) ist die Art allerdings noch nicht erwähnt.

Abb. 15-05: Der Große Zwergahlenläufer Tachys fulvicollis

Meloe rugosus MARSHAM, 1802

Je ein Exemplar dieser laut Bundesartenschutzverordnung als gesetzlich „streng geschützt“ geltenden Ölkäferart (Abb. 15-3) wurden im September 2018 vorm Haus auf dem Betonpflaster und der Treppe beobachtet. Offensichtlich breitet sich Meloe rugosus bei uns immer weiter aus. Seit dem eigenen ersten Fund in Sachsen im Jahr 2000 an einem Trockenhang im Ketzerbachtal südwestlich von Meißen wurde die Art 2001 am Geisingberg, d.h. im oberen Osterzgebirge gefunden (LORENZ 2005) sowie 2007 am Trockenhang „Meuschaer Höhe“ bei Dohna zwischen Dresden und Pirna, 2008 auf einer Streuobstwiese bei Gauernitz bzw. im Elbtal zwischen Dresden und Meißen, 2013 am NSG „Ziegenbusch“ bei Oberau nordöstlich von Meißen sowie 2017 in der Nähe der Bastei-Felsformation bei Kurort Rathen in der Vorderen Sächsischen Schweiz. Weitere Fundmeldungen gibt es in der einschlägigen Literatur (BITTRICH 2011, DIETRICH & BRÄUER 2011, PHOENIX 2012, JÄGER et al. 2016, JENTZSCH et al. 2018).

Abb. 15-06: Ölkäfer Meloe rugosus

Synchita separanda (DEJEAN, 181)

Beim Lichtfang am 31. Mai 2018 wurde auf der Terrasse 1 männliches Exemplar erfasst (Abb. 15-4). Im Online-Deutschland-Katalog colkat gibt es nur wenige Fundmeldungen aus der Südosthälfte Deutschlands. Aus Sachsen stammen bisher alle Funde vom Autor. Der Erstnachweis gelang am 10.09.2003 im Waldgebiet Dresdner Heide nördlich von Dresden unter verpilzter Lindenrinde. Die Bäume wurden auf der Stübelallee im Stadtzentrum von Dresden gefällt und am Rand der Dresdner Heide zu Totholzlagerplätzen aufgerichtet (Stehend-Lagerung von Höhlenbäumen – siehe auch LORENZ 2009, 2012), da es sich um Brutbäume des Juchtenkäfers (Osmoderma eremita) gehandelt hat (LORENZ 2005). Ein weiteres Exemplar wurde am 19.08.2005 westlich von Freital im NSG „Weißeritztalhänge“ von einem mit schwarzen, flachen Rindenpilzen bewachsenen Rot-Buchen-Hochstubben gebürstet. Im Juni 2011 ist die Art in einer Baumkronen-Fensterkreuzfalle nachgewiesen worden, die in der Oberlausitz westlich von Weißenberg im NSG „Gröditzer Skala“ in einer anbrüchigen Esche mit morschen Kronenästen hing. Im gleichen Jahr und Monat sind weitere 2 Exemplare ebenfalls mittels Lufteklektor am bereits oben genannten Totholz-Lagerplatz in Dresden gefangen worden. Auch im Juli und August 2015 erfolgten Lufteklektorfänge – diesmal in der östlichen Oberlausitz bei Herrnhut bzw. an einer anbrüchigen Linde in der Bachaue östlich der Ortschaft Ruppersdorf, wobei insgesamt 7 Exemplare nachgewiesen werden konnten.

Abb. 15-07: Reitters Rindenkäfer Synchita separanda

Trixagus gracilis WOLLASTON, 1854

Beim Lichtfang am 31. Mai 2018 wurde auf der Terrasse 1 männliches Exemplar erfasst (Abb. 15-5). Über die Taxonomie der Trixagus-Gruppe gab es in jüngerer Vergangenheit mehrere Veröffentlichungen (LEISEIGNEUR 1995, 1996, 2005, MUONA 2002). Viele Fundmeldungen, die früher als Trixagus carinifrons stammen offensichtlich zu einem Artenkomplex, wobei vor allem T. meybohmi recht häufig darunter ist, seltener T. leisingueri. Der „echte“ T. carinifrons scheint ziemlich selten zu sein und T. gracilis dürfte noch seltener sein. Im Deutschland-Katalog colkat gibt es nur wenige Fundmeldungen aus Deutschland. Aus Sachsen kann bisher nur ein eigener Fund genannt werden: 1 Ex. am 27.5.2005 mit Hilfe eines Klopfschirmes im Waldgebiet „Schildholz“ bei Beucha (Westsachsen westlich von Bad Lausick).

Abb. 15-08: Zierlicher Hüpfkäfer Trixagus gracilis

Hydrochara caraboides (LINNAEUS, 1752)

Beim Lichtfang am 31.7.2018 ist ein Exemplar des Kleinen Kolbenwasserkäfers (Hydrochara caraboides) (Abb. 15-6) ans Tuch geflogen. Die Art konnte ich seit 2001 mehrfach mit Hilfe von Wasserreussenfallen und auch bei Lichtfängen nachweisen, v.a. im Oberlausitzer Heide- und Teichgebiet.

Abb. 15-09: Kleiner Kolbenwasserkäfer Hydrochara caraboides

Ephistemus reitteri CASEY, 1900

Seit dem ersten Jahr nach Kauf und Bezug des Grundstücks ist ein kleiner Heuhaufen mit etwa einem Viertel Quadratmeter Grundfläche und 30 bis 50 cm Höhe auf der Wiese belassen worden bzw. dieser wurde jedes Jahr mit neuem Schnittgut versehen, um es in unregelmäßigen Abständen entsprechend des Zersetzungsgrades und des Feuchtezustandes durchzusieben. Nach sechs Jahren und ca. 20 Gesiebeproben ist die akkumulierte Liste auf über 200 Käferarten angewachsen. Die zu den Schimmelkäfern gehöhrenden Vertreter der Gattung Ephistemus wurden bisher immer der häufigeren Art Ephistemus globulus zugeordnet. Diesmal wurden aber mehrere Tiere, die äußerlich geringe Größen- und Farbunterschiede aufwiesen, „geschlachtet“. Anhand des Baus des männlichen Genitals konnte nun die Schwesternart Ephistemus reitteri bestimmt werden. Auch die Spermatheken der Weibchen sind unterschiedlich gebaut (Abb. 15-8). In der gängigen Bestimmungsliteratur (coleonet.de) sind bisher leider keine Unterscheidungsmerkmale für die Weibchen angegeben. Ob dieses Unterscheidungsmerkmal konstant ist, sollten Spezialisten überprüfen.

Abb. 15-10: Schimmelkäfer Ephistemus reitteri

Abb. 15-11: Bau der Spermatheken der Schimmelkäferarten Ephistemus globulus (links) und Ephistemus reitteri (rechts)

Exocentrus punctipennis MULSANT ET GUILLEBEAU, 1856

Vom Ulmen-Wimpernhornbock wurde 1 Exemplar am 19.9.2018 beim Lichtfang auf der Terrasse nachgewiesen. Die nächstgelegenen Ulmen dürften mindestens 200 m entfernt sein. Von dieser offenbar sehr seltenen Art gibt es nur wenige Fundmeldungen aus Sachsen. Die eigenen Nachweise sind:

  • 18.7.2006: 1 Ex. Elbhang Nähe Keppgrund „Zuckerhut“ (Dresden-Hosterwitz), Lichtfang;
  • 16.8.2013: 1 Ex. NSG „Laske“ bei Ralbitz (Oberlausitz), von Ulmenästen geklopft;
  • 04.7.2015: 1 Ex. Hospitalbachtal bei Heidenau, Lichtfang;
  • 15.6.2017: 1 Ex. FND „Pratzschwitzer Elblachen“ bei Pirna; Lichtfang;

Abb. 15-12: Ulmen-Wimpernhornbock Exocentrus punctipennis

Adalia bipunctata (LINNAEUS, 1758)

Der Zweipunkt-Marienkäfer gehörte früher zu einem der häufigsten heimischen Marienkäferarten. Heutzutage ist er eine absolute Seltenheit. Im vorigen Jahre wurden im Beitrag Nr. 13 (= 5. Beitrag zur „Haus- und Hoffauna“) ein paar Informationen zu diesem Thema erwähnt, zumal überraschenderweise im Herbst 2017 auf dem Grundstück bzw. an der Hauswand ein Tier nachgewiesen werden konnte. Auch 2018 ist ein Zweipunkt-Marienkäfer, diesmal im Haus, gefunden worden: Bei einer Reparatur musste am 13.10.2018 die Rolljalousieabdeckung in einem Zimmer abgenommen werden. Aus dem Hohlraum fielen etwa 30 Marienkäfer, die sich dort zur Überwinterung versteckt hatten. Bei den meisten Tieren handelt es sich um den Asiatischen Marienkäfer, der in vielen Farbvarianten auftritt. Es konnte aber auch je ein Exemplar des Zweipunkt-Marienkäfers und des Pappel-Marienkäfers beobachtet werden (Abb. 15-10).

Abb. 15-13: Marienkäfer-Überwinterungsgemeinschaft, überwiegend bestehend aus dem Asiatischen Marienkäfer (Harmonia axyridis) sowie einem Pappel-Marienkäfer (Oenopia conglobata) (gelber Kreis rechts unten) und einem Zweipunkt-Marienkäfer (Adalia bipunctata) (roter Kreis links oben)

Zusammenfassung nach 6 Jahren

Die Gesamtartenzahl beläuft sich mittlerweile auf etwa 930 Käferarten. Einige schwer bestimmbare Arten werden derzeit noch von Spezialisten überprüft. Bezogen auf die unterschiedlichen Fangmethoden bedeutet dies:

  • Handfänge: 529 Arten (237 exklusive Arten)
  • Lichtfänge: 411 Arten (222 exklusive Arten)
  • Bodenfallen: 260 Arten ( 56 exklusive Arten)
  • Heugesiebe: 209 Arten ( 33 exklusive Arten)
  • Lufteklektor: 112 Arten ( 14 exklusive Arten)
  • Laubgesiebe: 60 Arten ( 2 exklusive Arten)

Nach der bundesdeutschen Roten Liste (GEISER et al. 1998) sind im Garten bisher 85 unterschiedlich stark gefährdete Arten gefunden worden.

1x „Ausgestorben/ausgerottet/verschollen“: Synchita separanda 5x „vom Aussterben bedroht“: Ophonus diffinis, Lyctus pubescens, Euglenes pygmaeus, Axinopalpis gracilis; Curculio elephas; 22x „stark gefährdet“: Dolichus halensis, Badister peltatus, Agyrtes bicolor, Brachygonus megerlei, Dromaeolus barnabita, Attagenus punctatus, Cryptophagus labilis, Mycetophagus fulvicollis, Aulonium trisulcum, Symbiotes gibberosus, Gastrallus laevigatus, Dorcatoma robusta, Euglenes oculatus, Pseudocistela ceramboides, Diaclina fagi, Uloma culinaris, Oxythyrea funesta, Protaetia lugubris, Osmoderma eremita, Obrium cantharinum, Xylotrechus rusticus, Exocentrus punctipennis; 57x „gefährdet“: Carabus convexus, Dyschirius angustatus, Bembidion fumigatum, Ophonus melleti, Harpalus calceatus, Bradycellus caucasicus, Acupalpus exiguus, Abax carinatus, Badister dilatatus, Badister collaris, Leiodes strigipenne, Nossidium pilosellum, Siagonium quadricorne, Planeustomus palpalis, Platystethus nodifrons, Bledius procerulus, Hypnogyra glabra, Agaricochara latissima, Dacrila fallax, Phosphaenus hemipterus, Ancistronycha erichsonii, Ebaeus flavicornis, Trichodes alvearius, Hylis olexai, Drapetes cinctus, Prionocyphon serricornis, Megatoma undata, Enicmus brevicornis, Latridius hirtus, Mycetophagus piceus, Cicones undatus, Colydium elongatum, Novius cruentatus, Scymnus interruptus, Nephus quadrimaculatus, Vibidia duodecimguttata, Dorcatoma chrysomelina, Oligomerus brunneus, Palorus depressus, Ptinus sexpunctatus, Calopus serraticornis, Aderus populneus, Meloe proscarabaeus, Meloe rugosus, Scraptia fuscula, Allecula morio, Prionychus ater, Bolitophagus reticulatus, Corticeus bicolor, Odonteus armiger, Trichius zonatus, Sinodendron cylindricum, Cerambyx scopolii, Exocentrus adspersus, Phyllotreta aerea; Tanysphyrus ater

Fazit

Das Grundstück kann als das mit der am besten erforschten Käferfauna angesehen werden 😉. Im Grunde genommen können die Aussagen vom vergangenen Jahr wiederholt werden (siehe Fazit am Ende des 13. Beitrags zur „Haus- und Hoffauna“): Es wurde eine enorme Artenvielfalt nachgewiesen, die dem in der Öffentlichkeit vorherrschenden Meinungsbild widerspricht, dass es einen eklatanten Rückgang der Biodiversität gäbe. Es handelt sich jedoch nicht um einen Widerspruch, sondern um eine unterschiedliche Betrachtungsebene. Die großflächigen Veränderungen in der Landschaft, namentlich die Ausräumung bzw. die Beseitigung von Kleinstrukturen in der Agrarflur nimmt immer größere Ausmaße an. Eine immer intensivere landwirtschaftliche Bewirtschaftung geht zwangsläufig zu Lasten der Natur. Die Gegenargumentation, dass Hunger drohe, wenn die Landwirtschaft nicht mehr so weiter machen dürfe wie bisher, sind absurd, wenn man berücksichtigt, dass auf einem Drittel der landwirtschaftlichen Fläche keine Lebensmittelproduktion stattfindet, sondern ökonomisch und ökologisch unsinniger aber mit Steuergeldern hochsubventionierter „Energiepflanzenanbau“ und ein Drittel aller Lebensmittel vernichtet werden. Wenn 100 % der landwirtschaftlichen Fläche zur Produktion von Nahrungsmitteln genutzt würde und nicht so viele Lebensmittel verschwendet und weggeschmissen würden, könnte dann nicht auch auf der ganzen Fläche nachhaltig, naturschonend und ökologisch-dynamisch gewirtschaftet werden und alle würden trotzdem satt werden? Aber auch im Kleinen, d.h. in den vom deutschen Ordnungswahn gebeutelten, nahezu sterilen Einfamilienhausgrundstücken mit wöchentlich kurz geschorenem Teppichrasen, hackschnitzelbedeckten Beeten mit fremdländischen Koniferen und Ziersträuchern und viel Betonpflaster und der damit einhergehenden völligen Naturentfremdung, findet der ökologische Supergau seine Entsprechung. Sofern aber noch naturnahe Strukturen und dörflichen Naturoasen (in den Augen Vieler: „Unland“) vorhanden sind, gibt es auch noch eine Chance für die Artenvielfalt. Es stellt sich allerdings die Frage, wie lange noch bzw. wann alles zusammenbricht, falls eine bestimmte Mindestnaturfläche unterschritten wird? Bezogen auf das Umfeld des Grundstücks kann beispielsweise die nordöstlich angrenzende Streuobstwiese, die extensiv mit Schafen beweidet wird, das Gehölz im nördlich gelegenen Tälchen sowie die Streuobstwiese und die extensiv bewirtschaftete Wiese im Westen sowie zwei naturnahe Teiche mit alten Gehölzen im Westen bzw. Nordwesten der Ortschaft als sogenannte „hotspots“ der Artenvielfalt angesehen werden und natürlich, bei aller Bescheidenheit, große Teile des eigenen Grundstücks, wegen den Belassens einen Berg-Ahorn-Hochstubbens (Stehend-Totholz), der extensiven Sensenmahd der meisten Wiesenflächen, des Belassens eine Heuhaufens und von Laub sowie abgestorbenen, stehenden Gräsern und Kräutern im Herbst/Winter und des Ersetzens der Koniferen durch Obstbäume sowie der Förderung von heimischen Blühpflanzen, die den Insektenarten als Nektar- und Pollenquelle dienen usw. usf… Die ökologisch wertvollen Flächen des Dorfes sind in folgender Luftbildübersicht gelb und blau eingefärbt (Abb. 15-14).

Abb. 15-14: In der Umgebung des Grundstücks liegenden ökologisch wertvollen, naturnahen Flächen (gelb transparent) sowie naturnahe Kleingewässer (blau transparent), als mögliche Ursprungsorte der vielen aquatischen Arten, die vor allem durch den Lichtfang angelockt wurden

Mit dem Belassen oder Zulassen von „Restnatur“ bzw. wenn man nicht flächendeckend dem fragwürdigen deutschen Ordnungswahn im Garten nachkommt, könnte eigentlich jeder einen kleinen Beitrag gegen die Zerstörung und das Verschwinden der heimischen Natur leisten…und indirekt einen noch viel größeren Beitrag, wenn er mehr regional und lokal hergestellte (Bio-)Produkte kauft und das ganze grüne „Gedöhns“ nicht als die Spinnerei von Ökoterroristen verteufelt, sondern sich umfassend informiert, nachdenkt, kritisch hinterfragt und abwägt, um sich bei den verschiedensten Kaufentscheidungen und Handlungen bewusst zu machen, welchen positiven Beitrag für Natur und Umwelt geleistet werden kann...

Literatur
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