Eine Studentin der HTW in Pillnitz (Frau J. Lobin) hat unter Leitung und auf Initiative von Prof. Dr. M. Jentzsch von Mai bis September 2022 auf dem still gelegten Neuen Annenfriedhof eine Malaisefalle betreut bzw. diese in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden des Verbandes der Annenfriedhöfe Dresden wöchentlich geleert und das Fangmaterial ausgelesen und vorsortiert. Mit finanzieller Unterstützung der Unteren Naturschutzbehörde wurde der Käferbeifang bestimmt und ausgewertet.
Die Käferfauna der Stadt Dresden ist relativ gut erforscht. Beispielsweise fanden seit den 1990er Jahren Erfassungen zur xylobionten Käferfauna (Lorenz 2001, Lorenz 2012) und zur Käferfauna von Ruderal- und Brachflächen (Lorenz 1997a, Lorenz 1997b) statt. Zudem waren die Laufkäfer des Dresdner Sandgebiet „Heller“ mehrfach Gegenstand von Untersuchungen. Der Autor selbst hat in den letzten 30 Jahren etwa 1.650 Käferarten im Stadtgebiet von Dresden nachgewiesen. Das entspricht reichlich einem Drittel aller aktuell für Sachsen gemeldeten Käferarten.
Zum Einsatz kam eine sogenannte Malaisefalle, d.h. eine zeltartige Gaze-Konstruktion mit der in Bodennähe fliegende Insekten erfasst werden (Abb. 26_00). Die Falle war von Mai bis September 2022 auf dem stillgelegten Neuen Anfriedhof aufgebaut und wurde von Studenten der HTW wöchentlich geleert sowie das Fangmaterial im Labor ausgelesen und entsprechend der Insektenordnungen separiert und in 70%igem Alkohol konserviert.
Abb. 26_00: Malaisefalle auf dem stillgelegten Neuen Annenfriedhof im Südwesten von Dresden
Insgesamt konnten 64 Käferarten nachgewiesen werden (Tab. 26_1), darunter 2 Bockkäferarten, die laut Bundesartenschutzverordnung als „gesetzlich besonders geschützt“ gelten: Grammoptera ruficornis und das Pflaumenböckchen Tetrops praeustus (Abb._26_08).
Tab. 26_1:
Als faunistische Besonderheit gilt ein Erstnachweis für die Käferfauna Sachsen: der zur Gruppe der Seidenkäfer gehörende Anaspis lurida. Es wurden zwei Männchen nachgewiesen, die auf Grund typischer morphologischer Merkmale, d.h. gelbe, fadenförmige Anhängen an den 2. bis 4. Sterniten sicher bestimmbar sind. Offensichtlich breitet sich die Art nach Osten aus, da sie früher nur aus Westdeutschland bekannt war und erst in den vergangenen Jahren beispielsweise in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin/Brandenburg gefunden wurde. Weitere 7 Arten können als relativ selten eingestuft werden (subjektive Einschätzung des Autors auf Grundlage einer 40jährigen entomofaunistischen Tätigkeit in Sachsen). Meist deckt sich dies mit der Häufigkeit/ Seltenheit von Fundmeldungen im Online-Portal „www.coleoweb.de“. Hervorgehoben werden sollen beispielsweise der „Schneckenhauskäfer“ Drilus concolor (Abb. 26_04), dessen Larven tatsächlich Schnecken fressen sollen, der Schienenkäfer Microrhagus lepidus (Abb. 26_06), dessen Larven zersetztes Holz benötigen, der Marienkäfer Chilocorus bipustulatus(Abb. 26_03), der sich von Blatt- und Schildläusen ernährt, die Seidenkäferart Anaspis maculata (Abb. 26_01), dessen Larven unter morscher Laubholzrinde leben, der Samenkäfer Bruchidius varius (Abb. 26_02), der sich von Kleesamen ernährt sowie die „Spitzmäusschen-Rüssler“ Oxystoma ochropus (Abb. 26_07) und Eutrichapion vorax (Abb. 26_05), die an Blatterbsen- und Wicken-Arten gebunden sind.
Abb. 26_01 bis 08:
Da man mit Malaisefallen vor allem die in Bodennähe umherfliegenden Arten erfasst, sollten Individuenzahl als Aktivitätsabundanzen verstanden werden. Sie geben meist nicht die absolute Häufigkeit im Lebensraum wider. Ungewöhnlich ist beispielsweise, dass die flugunfähigen Larven des Asiatischen Marienkäfers Harmonia axyridis in der Malaisefalle gefangen wurden, jedoch kein einziger Käfer, die eigentlich gut flugfähig sind. Die höchsten Fangzahlen entfallen auf den vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiven Blatthornkäfer Serica brunnea (55), dessen Larven sich im Boden von Wurzeln krautiger Pflanzen ernähren, auf das Getreidehähnchen Oulema melanopus (49), auf die Weichkäferarten Rhagonycha fulva (39) und Cantharis rustica (25) sowie den Scheinbockkäfer Oedemera virescens(23). Die Hälfte der Arten wurden nur in Einzelexemplaren nachgewiesen. 20 der 64 Arten und damit knapp ein Drittel gehören Xylobionten und sind demzufolge an Alt- und Totholz bzw. Bäume gebunden. Es handelt sich vor allem um Altholzbesiedler.
Laut der Auswertung der Arten- und Individuenzahl entsprechend der Leerungsdaten gibt es ein Frühjahrs- und Sommermaximum (Abb. 26_01). Allerdings scheint der Beginn der Fänge Anfang Mai bereits zu spät zu sein. Es wird empfohlen Anfang April mit den Fängen zu beginnen, da offensichtlich ein Teil der im Frühjahr aktiven Arten nicht mit erfasst wurde.
Abb. 26_09: Übersicht der Arten- und Individuenzahlen entsprechend der Leerungen
Im untersuchten Friedhof konnte eine relativ große Vielfalt an Käfern mit Hilfe der Malaisefalle nachgewiesen werden. Dennoch ist das erfasste Artenspektrum sicherlich nur ein kleiner, wenig repräsentativer Ausschnitt des tatsächlich vorhandenen Artenpools. Um den naturschutzfachlichen Wert dieses Friedhofs bzw. des alten Baumbestands besser nachweisen zu können, wären weitere spezielle Erfassungsmethoden empfehlenswert, beispielsweise Lufteklektoren (Fensterkreuzfallen), Leimringe, Kescher- und Klopfschirmfang, Lichtfang, Gesiebe sowie Bodenfallen an und in alten morschen Bäumen.
Der Friedhof hat auf Grundlage dieses Fangergebnisses aus entomofaunistischer Sicht bereits eine gewisse lokale Bedeutung, wobei er unter Berücksichtigung der innerstädtischen Lage und der naturfernen, urbanen Umgebung als naturnahes Kleinod und als Refugium einiger seltener und gesetzlich geschützter xylobionter Käferarten eingestuft werden kann. Eine Schutzwürdigkeit deutet sich an, sollte aber mit einigen der oben genannten Erfassungsmethoden untermauert werden.