Im Auftrag des Landratsamtes Meißen, Untere Naturschutzbehörde soll die Schutzwürdigkeit der Landeswaldflächen im Waldgebiet Großholz bei Schleinitz außerhalb des bestehenden Naturschutzgebiets überprüft werden, wobei diese u.a. anhand der Bewertung der xylobionten Käferfauna, auf Grundlage einer aktuellen Erfassung. Das Waldgebiet Großholz liegt an der Westgrenze des Landkreises Meißen ca. 5 km südwestlich von Lommatzsch und ist ziemlich isoliert inmitten der weitestgehend waldfreien, intensiv landwirtschaftlich genutzten Lommatzscher Pflege (Abb. 22_01). Im Umkreis von 10 bis 15 km gibt es quasi kein größeres Waldgebiet. Es handelt sich um den Rest einer alten, noch vor 250 Jahren ca. 100 ha großen Waldinsel, die bis 1945 zum Rittergut Schleinitz gehörte und den Adligen als Jagdgebiet diente sowie als „Holzkammer“ und im Mittelwaldbetrieb bewirtschaftet wurde (Smul 2008). Mittelwälder gelten als sehr artenreich und somit waldökologisch bedeutsam (Albrecht & Müller, 2008), Haupt (2012), Meyer et al. (2015), Müller-Kroehling (2007).
Abb. 22_01: Lage des Waldgebiets Großholz (rote Markierung)
Aus dem NSG „Großholz“, dass etwa ein Drittel der Fläche des gesamten Waldgebiets umfasst und sich im Nordwesten befindet (Abb. 22_02), liegt eine Artenliste aus dem Jahr 1997 vor. Damals konnten mit Handfängen und einem Stammeklektor, der an einer abgestorbenen Eiche befestigt war, etwa 120 xylobionte Käferarten i.e.S. nachgewiesen werden, darunter mehrere gefährdete Arten (Lorenz 1997).
Abb. 22_02: Waldgebiets Großholz und Abgrenzung des NSG (rote Markierung)
Bezogen auf Gehölze bzw. waldbestockte Schutzgebiete eignen sich für eine naturschutzfachliche Bewertung die Holz- und Pilzkäfer aus bioindikatorischer Sicht besonders gut sowie indirekt auch eine Totholz-Strukturkartierung (Lorenz 2005). Das Artenspektrum der xylobionten (an Holz gebundene) Käfer umfasst in Sachsen ca. 20% der aktuell nachgewiesenen Arten, d.h. etwa 900 Spezies aus fast allen der mehr als 100 Käferfamilien. Neben den „echten“ Holzkäferarten, d.h. solchen, deren Entwicklung direkt im Holz oder unter der Rinde erfolgt, gehören hierzu auch Arten, die an Pilzen leben, die auf Holz wachsen sowie Arten, die an Baumhöhlen, ausfließenden Baumsaft oder Dendrothelmen gebunden sind, wobei diese mannigfaltige ökologische Gruppe folgendermaßen weitgefächert definiert werden kann: Zur Gruppe der xylobionten Käfer i. w. S. zählen alle Arten, deren Entwicklung in lebenden, absterbenden und toten Bäumen und verholzten Sträuchern erfolgt bzw. die als Larven und (oder) Imagines an oder in Holz, Baumpilzen, ausfließendem Baumsaft, in Baumhöhlen bzw. im Mulm, in Nestern baumhöhlenbrütender Vogelarten sowie auf oder unter der Rinde der Bäume leben und direkt oder indirekt an diese Strukturen gebunden sind, einschließlich der räuberischen Arten, die anderen „echten Holzinsekten“ nachstellen und der Parasitoide, Kommensalen und Symbionten, die Holzinsekten als Wirtsarten benötigen sowie regelmäßig im Holz bzw. unter der Rinde überwinternde Arten.
Laut der Verordnung zum Schutz von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten (Bundesartenschutzverordnung – BArtSchV) gibt es etwa 200 auch in Sachsen vorkommende xylobionte Käferarten, die als „besonders geschützt“ oder „streng geschützt“ gelten, darunter fast alle Pracht-, Rosen- bzw. Gold-, Hirsch- und Bockkäferarten (Buprestidae, Cetonia bzw. Protaetia, Lucanidae und Cerambycidae). Eine gewisse naturschutzrechtliche Bedeutung für die sächsische Fauna kann für drei xylobionte Käferarten hervorgehoben werden, weil sie als sogenannte FFH-Arten europarechtlich geschützt sind: der Juchtenkäfer oder Eremit (Osmoderma eremita) (der aus welchen Gründen auch immer nicht in der BArtSchV steht) sowie der Hirschkäfer (Lucanus cervus) und der Heldbock (Cerambyx cerdo).
Für die meisten Holz- und Pilzkäferarten gibt es keine sächsische Rote Liste. Bisher liegt lediglich eine Fassung für die Bockkäfer vor (Klausnitzer & Stegner 2018), die allerdings aktuellere Funddaten bzw. das Wissen regional tätiger Entomologen unzureichend berücksichtigt und damit faunistische Veränderungen der vergangenen 20 Jahre kaum abbildet. Zudem liegt eine sächsische Rote Liste der Blatthorn- und Hirschkäfer (Klausnitzer 1995) vor, die aktualisiert werden müsste. Einige dieser Blatthorn- und Hirschkäfer gehören zur ökologischen Gruppe der Holzkäfer und sind von großer ökologischer und naturschutzfachlicher Bedeutung.
In den vergangenen drei Jahrzehnten scheinen sich die faunistischen Kenntnisse über Insekten offenbar etwas verbessert zu haben. Vor allem auf Grund der vielen Untersuchungen für die FFH-Managementpläne und Schutzgebiets-Würdigungen gab es viele Erfassungen, vor allem von bekannteren Insektengruppen, beispielsweise Tagfalter, Heuschrecken, Libellen und Laufkäfer. Zudem lassen sich im Zuge der Digitalisierung bzw. mit Hilfe von Datenbanken sowie Internetforen heutzutage relativ schnell Funddaten zusammenstellen und filtern. Dennoch gibt es ein recht fragmentarisches Wissen über die Verbreitung und die Vorkommen von weniger bekannten Insektengruppen, zumal es kaum noch Fachleute mit dem entsprechenden Expertenwissen über Taxonomie und Ökologie der Arten gibt und entomologischer Nachwuchs „rar gesät ist“. Besonders bei unscheinbaren Gruppen wie die meisten xylobionten Käfer, die nur selten im Fokus der Öffentlichkeit stehen, werden erhebliche Defizite deutlich.
In den Medien wird suggeriert, als gäbe es einen gefährlichen Holzschädling: den Borkenkäfer. Gemeint ist der sogenannte Buchdrucker (Ips typographus) und damit eine von ca. 80 verschiedenen Borkenkäferarten, dessen Ausbreitung und Massenvermehrung eigentlich die Folge einer forstpolitischen und -wirtschaftlichen Inkompetenz der vergangenen 200 Jahre ist. Wider besseren Wissens wurden und werden standortunangepasste Baumarten als instabile Monokulturen gepflanzt und nicht gerade naturschonende nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden etabliert. Die Umformung und Vereinheitlichung des Waldes in parzellierte Plantagen, um den Einsatz überdimensionierter Technik, wie Vollerntemaschinen (sogenannte Harvester) im Wald zu ermöglichen, die Schneisen der Verwüstung durch die Bestände ziehen sowie durch Pestizideinsatz wird das natürliche Gleichgewicht immer mehr gestört und die Anfälligkeit der Bäume gegenüber Umweltextremen und Kalamitäten erst verursacht bzw. deutlich verstärkt. Durch eine falsche Wirtschaftspolitik wurden kleine regionale und lokale holzverarbeitende Unternehmen die quasi an den „Holzquellen“ stehen mit kurzen Transportwegen und großer Flexibilität zerstört und gleichzeitig überdimensionierte Holzverarbeitungsfabriken gefördert. Gleichzeitig macht man sich abhängig und hat keinen Einfluss mehr auf den Holzerlös. Eine flexible Holzvermarkung ist nicht möglich. Der Monopolist diktiert den Holzpreis. Gleichzeitig entstehen große Umweltschäden, weil permanent Holz aus hunderten Kilometern Entfernung herangefahren werden muss, um es im Mehrschichtbetrieb zu verarbeiten. Muss man eine Spanplatte oder ein Brett wirklich nachts herstellen? Ist eine solche Schichtarbeit nicht völlig überflüssig? Wird die Gesundheit der Arbeiter nicht dem „Effektivitätswahn“ geopfert?
Die Erfassung der xylobionten Käferfauna erfolgte von Ende April bis Anfang August 2020 mit Hilfe von sogenannten Lufteklektoren (Baumkronen-Fensterfallen) (Abb. 22_03). Zudem sind mehrere Handfänge durchgeführt worden, die Suche nach xylobionten Käfern an Totholz, an Baumpilzen, auf Blüten, der Einsatz von Klopfschale und Streifsack sowie Lichtfänge. Soweit möglich wurden bei den Handaufsammlungen die Arten vor Ort bestimmt und wieder frei gelassen. Die meisten Arten sind nur wenige Millimeter klein und können nicht direkt im Gelände bis zur Art determiniert werden. Oft ist eine Genitalpräparation unter Zuhilfenahme eines Stereomikroskops erforderlich. Manche besonders schwer bestimmbare Arten werden von Spezialisten überprüft, oder sie müssen mit Sammlungsmaterial aus dem Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden verglichen werden.
Abb. 22_03: Beispiel für den Lufteklektor an einer frisch abgestorbenen Birke im zentralen Teil des Waldgebiets
Insgesamt konnten 254 xylobionte Käferarten nachgewiesen werden (Tabelle 22_1 im Anhang). In den vier Lufteklektoren wurden jeweils zwischen 54 und 72 Arten gefunden und mit den Handfängen 175 Arten. Laut Bundesartenschutzverordnung gelten 42 Arten als „gesetzlich besonders geschützt“. Zudem konnte an der unmittelbar östlich angrenzenden Obstbaumreihe ein Juchtenkäfer (Osmoderma eremita) nachgewiesen werden, der als „prioritäre Art“ der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie der EU einen hohen gesetzlichen Schutzstatus besitzt. 72 Arten und damit knapp 30 % des nachgewiesenen Artenspektrums stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten Deutschlands (Geiser 1998) (Tabelle im Anhang, Spalte „RL Dt.“). 10 Arten sind „vom Aussterben bedroht“, 21 Arten „stark gefährdet“ und 41 Arten „gefährdet“. Außerdem sind nach Schmidl & Bussler (2004) 25 Arten als sogenannte „Indikatorarten“ eingestuft, d.h. sie besitzen eine große ökologische und bioindikatorische Relevanz und unterstreichen den hohen naturschutzfachlichen Wert des Waldgebiets (Tabelle im Anhang, Spalte „IA“). Bemerkenswert ist der Nachweis von neun sogenannten „Urwald-Reliktarten“ (nach Müller et al. 2005, Eckelt et al. 2017, Lorenz 2010), von denen die Schienenkäferart Dirrhagofarsus attenuatus (Mäklin, 1845) als größte faunistische Besonderheit der 2020er Erfassungen gewertet werden kann.
Ein Exemplar dieses Kurzflüglerkäfers wurde zwischen Mitte Juni und Mitte Juli 2020 im Lufteklektor gefangen, der an einer Alt-Eiche hing, die morsche, hohle Stamm- und Starkastpartien aufweist. Die Art lebt wahrscheinlich unter der morschen Rinde sehr alter Laubbäume und wurde in Sachsen erst wenige Male gefunden, beispielsweise im Moritzburger Wald, mit Hilfe eines Stammeklektors, der an einer hohlen Rot-Buche befestigt war (Lorenz 1999), im Röderauwaldrest bei Kleinraschütz/ Skassa, mit Hilfe eines Lufteklektors, der an einer anbrüchigen Ulme hing (Jäger et al. 2016) und im NSG „Seußlitzer Grund“ nordwestlich von Meißen (mehrere Nachweise mit Lufteklektoren und einer Bodenfalle an/in hohlen Rot-Buchen).
Abb. 22_04: Thoracophorus corticinus (Foto: Pavel_Krasensky)
Neun Exemplare wurden im Juni/Juli 2020 mit Hilfe des Lufteklektors gefangen, der in ca. 20 m Höhe in der frisch abgestorbenen Birke hing (siehe Abb. 22_3) und weitere fünf Tiere waren vom Juni bis August im Lufteklektor an der frisch abgestorbenen Eiche im Westteil des Waldgebiets. Diese Schienenkäferart entwickelt sich wahrscheinlich unspezifisch in Laubholz und wurde im Jahr 2009 erstmals in Deutschland entdeckt (Brenner 2011). Im Jahr 2014 konnte die Art im NSG „Maylust“ bei Klosterbuch erstmals für Sachsen nachgewiesen werden (Weigel 2020). Somit dürfte dies hier der zweite bislang bekannte Fund in Sachsen und der fünfte in Deutschland sein. Der oben genannte Fundort ist 17 km vom Großholz entfernt. Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Art schon „immer“ vorhanden war, aber nie entdeckt wurde, oder ob sie sich ausgebreitet hat. Mehrere Eucnemiden-Arten sind in den vergangenen Jahren neu nachgewiesen worden (Weigel 2005, Lorenz 2012, Brunk 2013, Drees 2018), meist mit Lufteklektoren oder anderen Fensterfallen, sodass die Vermutung im Raume steht, dass die Nachweise eher mit den neuen Erfassungsmethoden zusammenhängen, als mit Ausbreitungstendenzen, denn es ist nicht bekannt, dass die Käfersammler bis in die 80er Jahres des vorigen Jahrhunderts mit Baumkronen-Fensterfallen gefangen haben?
Abb. 22_05: Dirrhagofarsus attenuatus (Foto: Petr Boza)
Von Juni bis August 2020 wurden 3 Exemplare mit Hilfe des Lufteklektors erfasst, der in ca. 5 m Höhe vor einer großen Stammhöhle einer alten Esche im Osten des Waldgebiets hing. Den Dornhals-Düsterkäfer fand ich erstmals Ende August 2000 in Dresden bzw. im parkartigen Gartengelände der Villa „Marcolinis Welt“ an Schwefelporling, der an einer alten Rot-Eiche wuchs. Das zweite Exemplar wurde Anfang Juli 2014 im Moritzburger Wald bzw. im NSG „Kutschgeteich“ gefunden, wobei die konkreten Fundumstände leider nicht mehr nachvollzogen werden können, aber wahrscheinlich stammt das Tier von den Alt-Eichen am Ostrand des NSG. Der dritte Nachweis gelang mit Hilfe eines Lufteklektors im Juni 2011, der in der Totholz-Pyramide neben der JVA in Dresden im „Grünzug Carolapark“ hing (Lorenz 2012). Anfang September 2012 ist dann ein weiteres Exemplar gefunden worden, konkret aus einem bereits trockenen Schwefelporling, der an einem Kirschbaum in der Feldflur zwischen Fördergersdorf und Kurort Hartha bzw. nördlich des Tharandter Waldes wuchs. Schließlich gibt es noch aus dem Jahr 2013 einen Nachweis dieser Art, der aus einem Lufteklektor stammt, der an einem Eichen-Hochstubben im Waldschlösschen-Areal hing (leg. R. Gutzeit). Letztendlich soll noch der Fund eines Exemplars beim Lichtfang Anfang Juni 2019 am Elbufer in Dresden-Stetzsch erwähnt werden. Zusammenfassend können folgende Fundumstände resümiert werden: Aktivitätszeit: von Juni bis September an alten Laubbäumen mit verpilzten, morschen Stellen (v.a. Eiche, aber auch Kirsche) und an Baumpilzen (z.B. Schwefelporling). Die Art ist flugaktiv und eventuell etwas lichtaffin.
Abb. 22_06: Eustrophus dermestoides (Foto: coleocoll.nhmus.hu/kepek)
Am 9.5.2020 wurde die Art nachts mit der Taschenlampe an Zunderschwamm gefunden (leg. M. Gierth und I. Brunk). Diese Schwarzkäferart wurde schon mehrfach an Zunderschwamm nachgewiesen und war in Sachsen ursprünglich nur aus in der Hinteren Sächsischen Schweiz bekannt (Jäger 2020 im Druck, Lorenz 2005). Seit wenigen Jahren scheint sich die Art auszubreiten, denn es gibt aktuelle Funde aus der Dresdner Heide (in lit. M. Gierth), aus dem NSG „Seußlitzer Grund“ (Peschel 2019), aus der Oberlausitz (FND „Steinberg Räckelwitz“), vom Dresdner Elbhang bei Pillnitz und aus der Nähe von Torgau (eigene Funde).
Abb. 22_07: Neomida haemorrhoidalis
Jeweils ein Exemplar ist im Juni und Juli 2020 mit Hilfe des Lufteklektors erfasst worden, der vor der Stammhöhlenöffnung in 5 m Höhe an der Esche im Ostteil des Waldgebiets hing. Von dieser sehr seltenen Schwarzkäferart gibt es bisher nur wenige Fundnachweise aus Sachsen, beispielsweise aus dem Jahr 1997 von Altholz-Biotopen in Dresden (eigener Fund) und von 2009 aus dem Moritzburger Wald (Peschel 2017). Am 10.6.2019 konnte ich am Elbufer bei Dresden-Stetzsch am Licht ein Exemplar finden sowie am 16.6.2020 am bewaldeten Elbhang oberhalb von Dresden-Pillnitz nachts am Taschenlampenlicht unter Buchenrinde zusammen mit Corticeus bicolor, wobei nicht nachvollzogen werden kann, ob beide Arten unter der Rinde des gleichen Baumes gefunden wurden oder an Nachbarbäumen, weil in dieser Nacht mehrere stehende und umgebrochene Buchenstämme abgeleuchtet wurden und mehrere Exemplare des vermeintlichen C. bicolor mit dem Exhaustor eingesaugt und ins Tötungsglas gesteckt worden sind und erst Wochen später unterm Stereomikroskop die Determination erfolgte, wobei dann festgestellt wurde, dass es sich um zwei Arten handelt. Corticeus bicoloroides ist deshalb relativ schwer bestimmbar, weil sie von der Färbung her dem Corticeus bicolor entspricht. Allerdings sind die Halsschild-Proportionen anders. Bei Corticeus bicoloroides ist der Halsschild schlanker bzw. länger als breit und die Seiten sind nicht so gerundet, wie bei C. bicolor. Dies erkennt man aber erst im Vergleich, d.h. wenn beide Arten nebeneinander liegen. Im Prinzip sind es ähnliche Unterschiede bzw. Proportionsabweichungen, wie zwischen Corticeus longulus (Halsschild schlanker, gerader) und C. fraxini (Halsschild breiter, gerundeter) (siehe auch Fotos in Krahl 2020).
Abb. 22_08: Corticeus bicoloroides
Am 30.4.2020 wurden 2 Exemplare unter der Rinde einer abgestorbenen Eiche im Westteil des Waldgebiets gefunden und am 9.6.2020 ein weiteres Tier sowie im Juni/Juli 2020 im Ostteil des Waldgebiets zwei Exemplare im Lufteklektor, der an einer Eiche mit hohlen Starkastpartien hing. Der Schwarzkäfer scheint vorwiegend unter der losen Rinde abgestorbener Eichen vorzukommen. Seit 1999 konnte ich die Art an mittlerweile 20 verschiedenen Lokalitäten in ganz Sachsen verteilt im Hügel- und Tiefland nachweisen, jedoch nicht im Gebirge.
Abb. 22_09: Corticeus fasciatus (Foto: H. Bouyon)
Im Juli 2020 wurde ein Exemplar dieser Schwarzkäferart in dem Lufteklektor gefangen, der in 20 m Höhe an der frisch abgestorbenen Birke hing. Da sich Neatus picipes meist im morschen, trockenen Holz alter Laubbäume sowie in Mulmhöhlen entwickelt, könnte als Brutbaum eine anbrüchige Alt-Eiche in Frage kommen, die etwa 20 m entfernt steht.
Abb. 22_10: Neatus picipes
Am 10.7.2020 wurde ein „posierendes“ Männchen mit dem typischen Aprikosenduft in einem hohlen Birnenbaum am Ostrand des Waldgebiets beobachtet. Der Juchtenkäfer entwickelt sich in Mulmhöhlen alter Laubbäume und hat in Sachsen neben Mecklenburg-Vorpommern eines seiner Hauptverbreitungsgebiete, weil es nirgends sonst in Europa noch eine solch große Zahl an Brutbäumen gibt. Daraus würde sich für den Freistaat Sachsen eigentlich eine besondere Verantwortung für den Schutz und die Erhaltung seiner Lebensräume ergeben. Allerdings kommt es seit Jahren zu einem rapiden Rückgang der Brutbaumzahl durch Baumfällungen, aber auch durch natürliches Absterben und unwetterbedingtes Umbrechen auf Grund fehlender Baumpflege (Lorenz 2013a). Bei eigenen Erfassungen im Rahmen von FFH-Managementplan-Untersuchungen (Lorenz 2004a, Lorenz 2004b, Lorenz 2006, Lorenz 2007a, Lorenz 2007b, Lorenz 2008a, Lorenz 2008b, Lorenz 2009a, Lorenz 2009b, Lorenz 2009e, Lorenz 2009d, Lorenz 2009e, Lorenz 2009f) und des Feinmonitorings für FFH-Arten sowie spezifische Kartierungen konnte ich in den vergangenen 20 Jahren etwa 1.000 Höhlenbäume mit Besiedlungsspuren des Juchtenkäfers dokumentieren (Lorenz 2013b, Lorenz 2020b, Lorenz 2020c).
Abb. 22_11: Imagines und Larven von Osmoderma eremita
Ein Exemplar dieser seltenen Rüsselkäferart wurde im Juni 2020 im Lufteklektor gefangen, der in ca. 20 m Höhe in der frisch abgestorbenen Birke im mittleren Teil des Waldgebiets hing und zwei weitere Exemplare im Juli 2020 im Lufteklektor an der frisch abgestorbenen Eiche im Westteil des Waldgebiets. Der Erstnachweis für Sachsen gelang 2003 im Stadtpark von Großenhain abends am Licht durch U. Lehmann (Lorenz 2005). Ich konnte die Art erstmals am 21.7.2007 bei Batzdorf südöstlich von Meißen beim Lichtfang am Rand des bewaldeten Elbhanges nachweisen. Nach den oben genannten Funden im Großholz habe ich am 29.6.2020 ein weiteres Exemplar dieser Art südlich von Torgau gefunden. Dort sind an der B 87 Eichen gefällt worden und unter der Rinde eines Kronenastes kam ein „verschrumpelter“ Käfer zum Vorschein, der noch in der Puppenwiege lag und durch die Fällung und das Austrocknen des Holzes offenbar mit ausgetrocknet ist. Wahrscheinlich ist die Art in/an Wipfeläste alter Laubbäume, v.a. Eichen gebunden.
Abb. 22_12: Gasterocerus depressirostris (Foto: Evgeny Komarov)
Das Waldgebiet Großholz beherbergt auch außerhalb des eigentlichen NSG eine überdurchschnittlich große Zahl an gefährdeten und gesetzlich geschützten xylobionten Käferarten und ist relativ totholzreich. Der Nachweis von 72 Rote-Liste-Arten und neun Urwald-Reliktarten unterstreicht die herausragende Bedeutung dieses Gebiets als Waldstandort mit längerer Biotoptradition. Das Großholz als Ganzes kann als naturschutzfachlich wertvolles Waldgebiet eingestuft werden und als Refugium einer artenreichen und hochgradig bedrohten Fauna, sodass eine hohe Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit gegeben ist.
Ursachen der Artenvielfalt sind eventuell die mittelwaldartige Bewirtschaftung der Vergangenheit, vor allem aber die Heterogenität der Wald- und Baumartenzusammensetzung sowie der relativ hohe Totholz-Anteil. Das eigentliche NSG im nordwestlichen Teil des Waldgebiets beherbergt überwiegend ein Eichen-Buchen-Altholz mit Beimischung anderer Laubbaumarten. Das östliche Drittel besteht überwiegend aus einem älteren Sukzessionswald (Robinie, Kiefer, Berg-Ahorn, Spitz-Ahorn, Birke, Zitterpappel usw.), der sich offenbar nach bergbaulichen Aktivitäten bis Mitte des vorigen Jahrhunderts (Kiesabbau?) entwickelt hat, worauf das bewegte Relief hindeutet (bis 10 m tiefe Tälchen durchziehen die Bestände). Einzelne alte Buchen, Eichen, Eschen, Linden und Bergahorne sind beigemischt. Im mittleren Teil des Waldgebiets gibt es einen auwaldartigen Bestandsteil mit alten Hybrid-Pappeln, die zunehmend absterben, aber auch edellaubholzreiche Bestände mit alten Eichen, Eschen und Berg-Ahornen sowie Buchen- und Fichten-Reinbestände. Der Fichten-Reinbestand ist auf Grund der Trockenheit der vergangenen 3 Jahre komplett abgestorben. Im Südwesten stockt ein mittelalter, von Eichen dominierter Bestand und im Westen gibt es einen Laubmischforst mit einem jüngeren Eichen- und Rot-Eichenbestand sowie auch einen Altbestand mit Eichen, Eschen- und Berg-Ahorn. Der Eiche kommt die größte Bedeutung als Lebensraum und Entwicklungsort für die meisten xylobionten Käferarten im Allgemeinen und die meisten gefährdeten und gesetzlich geschützten Arten im Besonderen zu. Allein 26 Arten, darunter 4 Urwald-Reliktarten und 8 gesetzlich besonders geschützte Arten sind ausschließlich an Eiche gebunden. Zudem spielen alte Höhlenbäume eine überragende Bedeutung für die am stärksten gefährdete Käfergruppe: die Arten mit Bindung an Mulmhöhlen, wobei hier die Baumart eine untergeordnete Rolle spielt und vielmehr das Alter und der Durchmesser der Bäume entscheidend ist, was mit dem Alter der Mulmhöhle und relativ stabilen mikroklimatischen Bedingungen zusammenhängt.
Die Entnahme von Stehend-Totholz sollte auf ein Minimum beschränkt bleiben. Schräg aufliegende Stämme können, wenn tatsächliche Sicherheitsgründe eine Rolle spielen, entnommen oder abgesägt und liegen gelassen werden. Bei anbrüchigen Höhlenbäumen entlang der Wege, wo ein Umbrechen tatsächlich zu befürchten ist, sollten zuerst Entlastungsschnitte im Kronenraum zur Stabilisierung der Standsicherheit beitragen sowie Hochstubben erhalten bleiben. Sind Höhlenbäume nicht mehr standsicher und es gibt eine akute Gefährdung der Verkehrssicherheit sollte eine Stehend-Lagerung von Stammstücken in Erwägung gezogen werden (Lorenz 2009).
Abseits der Wege sollte der Wald, sofern die Baumartenzusammensetzung der potenziell natürlichen Vegetation entspricht, der natürlichen Waldsukzession überlassen bleiben. Fremdländische Baumarten, wie z.B. Rot-Eichen, Robinien müssen entnommen werden, da sie sich invasiv ausbreiten und die heimische Flora verdrängen. Hybrid-Pappeln und Omorika-Fichten können toleriert werden, da sie sich nicht von selbst verjüngen und sich nach deren Absterben heimische Baumarten etablieren werden. Falls es für die Hybridpappeln eine gewinnbringende Nutzung/Verwertung gibt, können sie entnommen werden. In den dichten, vor allem von Buchen dominierten Beständen können noch naturschonende Holzentnahmen durchgeführt werden, d.h. einzelstammweise Entnahmen von hochwertigen Sortimenten (Furnierqualität). Auch einzelne Berg-Ahorne, die Furnierqualität besitzen, können entnommen werden, wenn der Erlös zumindest teilweise in Naturschutzmaßnahmen fließen.
Bei Nachpflanzungen sollten Eichen, Eschen, Vogelkirschen und Ulmen ausgewählt und mit Einzelschutz versehen werden oder in Mischung in kleinen Gattern (Schutz vor Wildverbiss) von jeweils 10 x 10 m quasi als Initialpflanzungen dienen.
Die Obstbaumreihen entlang der Wege zum Großholz müssen unbedingt mit regionaltypischen Hochstamm-Obstsorten nachgepflanzt werden.