Biodiversitätsforschung vor der Haustür oder:

Was kreucht und fleucht um Haus und Hof? - Teil 12

Zwölfter Beitrag zur Käferfauna eines Gartengrundstücks

Vorbemerkungen (je ein Zitat aus den neun vorangegangenen Beiträgen zur „Haus- und Hofkäferfauna“ 2013 bis 2023):

„…Ende 2013 berichtete ich im Beitrag: „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 1“ über die Käfer, die ich im Laufe des Jahres auf dem Grundstück nachgewiesen hatte. Bei gelegentlichen „Gartenexkursionen“, bei gezielten Beobachtungen der Vegetation und bei mehreren Lichtfängen waren etwas mehr als 300 Käferarten zusammengekommen…“

„…Im Jahr 2014 packte mich der Ergeiz und ich intensivierte die Käfererfassungsaktivitäten, indem ich vier Bodenfallen eingrub und alle 14 Tage leerte, eine Fensterkreuzfalle aufhängte und wiederum mehrere Lichtfänge machte. Am Ende des Jahres sind fast 500 Käferarten zusammengekommen, von denen wiederum fast 300 Arten neu waren, d.h. diese 300 Arten hatte ich im Jahr zuvor noch nicht gefunden. Somit sind nach zweijährigem Untersuchungszeitraum etwa 610 Käferarten auf dem Grundstück nachgewiesen worden. Die Ergebnisse sind im Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 2“ dargestellt…“

„…Im Jahr 2015 gingen die Erfassungen mit geringerem Aufwand weiter. Wiederum spazierte ich besonders aufmerksam in den „eigenen vier Zäunen“ umher und alles, was mir an Käfern über den Weg lief, vors Auge flog sowie an der Hauswand oder auf der Vegetation saß, wurde bestimmt und dokumentiert, und falls es unbekannt oder auf den ersten Blick schwer erkennbar war, wurde es genauer unter die Lupe genommen. Zudem ist von Mitte Juni bis Mitte Oktober eine Bodenfalle auf der Wiese unter einem extra belassenen Heuhaufen und eine weitere Bodenfalle mitten im Komposthaufen eingegraben und alle 14 Tage geleert worden. Auch führte ich wieder mehrere Lichtfänge durch. Das Ergebnis am Ende Jahres: 360 Käferarten, darunter 110 neue Arten, d.h. sie wurden in den beiden Jahren zuvor noch nicht nachgewiesen (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 3“)...“

„…Auch in diesem Jahr 2016 wurde die Käferfauna des Grundstücks aufmerksam beobachtet und dokumentiert. Die Fangmethoden waren wiederum das gelegentliche Aussieben von Heu- und Laubhaufen, Klopfschirm- und Kescherfänge sowie Lichtfänge. Außerdem wurde im April und im Juni eine Bodenfalle im Kompost eingegraben und wöchentlich geleert. Am Ende des Jahres sind wieder über 300 Arten nachgewiesen worden mit immerhin fast 80 Neunachweisen, d.h. sie wurden in den drei Jahren zuvor noch nicht gefunden. Innerhalb von vier Jahren sind demnach 800 Käferarten auf dem 1000 qm großen Grundstück gefunden worden! Somit konnten fast 20 % der Arten nachgewiesen werden, die aktuell für ganz Sachsen gemeldet sind…“ (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 4“)…

Im Jahr 2017 gingen die Erfassungen zur Käferfauna des Grundstücks weiter. Die Fangmethoden und der Erfassungsumfang war ähnlich wie in den Vorjahren, d.h. Handfänge, Heu- und Laubgesiebe, 4 Lichtfänge sowie der gelegentliche Einsatz von Streifsack und Klopfschirm. Zudem gab es wieder Bodenfallenerfassungen von Mai bis Juli. Eine Bodenfalle wurde auf der Wiese am Stammfuß des Bergahorn-Hochstubbens eingegraben, was in etwa dem Bodenfallenstandort 2 aus der Erfassung von 2014 entsprach und die andere Bodenfalle auf einer Brache im Südwesten des Grundstücks, d.h. am Bodenfallenstandort 4 aus dem Jahr 2014. Am Ende der Fangsaison 2017 sind 396 Käferarten nachgewiesen worden, darunter etwa 70 Arten, die in den vier vorhergehenden Jahren noch nicht gefunden wurden. Damit erhöht sich die Gesamtartenzahl, die innerhalb von 5 Jahren auf dem 1000 qm großen Gartengrundstück nachgewiesen werden konnten auf 870 Käferarten! ... (siehe auch: Beitrag „Was kräucht und fleucht um Haus und Hof – Teil 5“) (die Erhöhung um 10 Arten gegenüber dem Beitrag ist dadurch zu erklären, dass sich im Nachhinein nach der Überprüfung durch Spezialisten doch neue Arten hinzugezählt werden können)…

Natürlich wurde auch im Jahr 2018 die „Haus- und Hoffauna“ wieder relativ akribisch dokumentiert. Fallenfänge sind zwar keine mehr durchgeführt worden. Dafür hat sich die Zahl der Lichtfänge erhöht, weil es wegen des extrem trocken-warmen und lange anhaltenden Sommers von April bis Oktober ausreichend Gelegenheit gab, bei entsprechend hohen Nachttemperaturen von über 20 °C zu leuchten. Bei diesen hohen Temperaturen nach Sonnenuntergang sind viele dämmerungs- und nachtaktive Käferarten besonders flugaktiv. Auf Grund der Lockwirkung durch eine 250 Watt sowie eine 125 Watt Mischlichtlampe, die auf der Terrasse installiert wurden, stammt natürlich ein großer Teil der Käfer, die ans weiße Laken flogen, nicht direkt vom Grundstück, sondern aus der näheren Umgebung des Dorfs. Im Jahr 2018 konnten wieder über 400 Käferarten registriert werden, wobei mehr als 1.700 Individuen erfasst wurden. Überraschend war, dass, wie schon ein Jahr zuvor, eine ähnlich hohe Zahl von ca. 80 „neuen“ Arten nachgewiesen werden konnte, d.h. sie wurden in den 5 Jahren zuvor nicht gefunden. … Viele Neunachweise im Jahr 2018 gelangen mit Hilfe der Lichtfänge.

Da im Jahr 2019 weitere 43 „neue“ Arten nachgewiesen wurden, erhöht sich damit die Gesamtartenzahl auf 1004. Somit ist nach 7 Jahren ziemlich intensiver „Biodiversitätsforschung vor der Haustür“ auf dem heimischen 1000 Quadratmeter großen Grundstück die 1000-Arten-Marke geknackt worden.

Im Jahr 2020 wurden wieder etwas mehr „neue“ Arten (54) nachgewiesen, als im Jahr zuvor. Die Gesamtartenzahl nach 8-jähriger Erfassung im 1000 Quadratmeter großen Grundstück liegt Ende 2020 bei etwa 1060.

Auch im Jahr 2021 wurden wiederum etwas mehr „neue“ Arten (60) gefunden, als im Jahr zuvor, was u.a. auch erfassungsmethodisch bedingt ist, weil, wie 2014 Bodenfallenfänge durchgeführt worden sind. Die Gesamtartenzahl nach 9-jähriger Erfassung im 1000 Quadratmeter großen Grundstück liegt Ende 2020 bei etwa 1120.

Im Jahr 2022 ist die kontinuierliche Erforschung der Käferfauna des Gartengrundstücks weiter fortgesetzt worden, wobei diesmal der Lufteklektorfang am toten Bergahorn-Hochstubben als kontinuierliche Fangmethode wiederholt wurde, wie er auch schon 2014 erfolgt ist. Zudem fanden wieder 4 Lichtfänge (Mai, Juni, Juli, August) und mehrere Gesiebe- bzw. Klopfschalen- und Streifsackfänge statt sowie sonstige Aufsammlungen und Beobachtungen. Als neue Erfassungsmethode kam eine selbst gebaute Berlese-Apparatur zum Einsatz. Bezogen auf die Jahresfangsummen kam 2022 das dritthöchste Ergebnis zusammen. 451 Käferarten konnten nachgewiesen werden, wobei über 1.900 Individuen beobachtet bzw. erfasst und bestimmt wurden. Somit erhöht sich die Gesamtartenzahl im 1000 Quadratmeter großen Grundstück nach 10-jähriger Erfassung auf 1.182 Käferarten.

Auch im Jahr 2023 sind die Erfassungen in ähnlichem Umfang wie in den Vorjahren fortgesetzt worden, wobei insgesamt 358 Käferarten gefunden werden konnten, darunter 29 „neue“ Arten, sodass die 1.200-Arten-Marke überschritten wurde.

Im Jahr 2024 waren vorwiegend Klopfschale und Streifsack sowie Lichtfang die Erfassungsmethoden, allerdings wegen fehlender Zeit mit geringerem Aufwand als in den Vorjahren. Insofern sind nur 307 Käferarten nachgewiesen worden und damit die niedrigste Anzahl seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2013. Dennoch waren 25 „neue“ Arten dabei, das heißt, sie wurden in den vorhergehenden 11 Jahren nicht gefunden. Die Gesamtartenzahl der auf dem Grundstück gefundenen Käferarten erhöht sich damit auf 1.236 Arten (Abb. 31_01). Es waren etwas weniger Arten als die Vorjahre und auch der Zuwachs an „neuen“ Arten ist ebenfalls niedriger. Der erwartbare Trend zur Artensättigung setzt sich fort (Abb. 31_02).

Abb_31_01_Gesamtuebersicht_Artenzahlen

Abb. 31-01: Gesamtübersicht zu den ermittelten jährlichen Artenzahlen (es gibt geringfügige Abweichungen bei den Werten gegenüber den vorjährigen Diagrammen, weil vormals unsichere Bestimmungen durch Spezialisten geklärt werden konnten).

Abb_31_02_Trendlinie_Artenakkumulation

Abb. 31-02: Trendlinie zur Artenakkumulation

Zu einigen der faunistisch interessanten „Neufunde“ gibt es nachfolgend ein paar Erläuterungen:

Stenelmis canaliculata (Gyllenhal, 1808)

Diese Hakenkäferart kann als größte faunistische Besonderheit im Jahr 2024 angesehen werden (Abb. 31-03). Am 7.8.2024 wurde ein Exemplar der aquatischen Art beim Lichtfang erfasst. Es gibt bisher nur sehr alte Fundmeldungen aus Sachsen, die auf Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhundert zurückgehen.

Abb_31_03_Fundmeldungen_Stenelmis_canaliculata

Abb. 31-03: Die Hakenkäferart Stenelmis canaliculata wurde nach über 100 Jahren wieder in Sachsen nachgewiesen (www.coleoweb.de).

Bruchidius imbricornis (Panzer, 1795)

Ein Exemplar dieser Samenkäferart wurde beim Lichtfang am 7.8.2024 auf die Terrasse gelockt. Laut www.coleoweb.de bzw. Hornig & Klausnitzer (2023) sind bisher noch keine Funde dieser Art aus Sachsen gemeldet worden (Abb. 31_04). Die wärmeliebende Art scheint sich nach Nordosten auszubreiten, da es v.a. aus den westlichen Bundesländern Fundmeldungen gibt. Möglicherweise wird die u.a. an Schmetterlingsblütengewächsen wie Geißraute (Galega officinalis) gebundene Art auch über Garten-/Baumärkte mit Pflanzen oder über Blühsaatenmischungen verschleppt, in denen gebietsfremdes Saatgut verwendet wird.

Abb_31_04_Fundmeldungen_Bruchidius_imbricornis

Abb. 31-04: Die Samenkäferart Bruchidius imbricornis wurde erstmals in Sachsen nachgewiesen (www.coleoweb.de)

Ophonus azureus (Fabricius, 1775)

Ebenfalls beim Lichtfang am 7.8.2024 wurde ein Exemplar dieser in Sachsen bisher recht seltenen Laufkäferart nachgewiesen (Abb. 31_05). Eventuell profitiert diese überwiegend samenfressende Art von der extensiven Wiesenbewirtschaftung, weil auf den wenige Quadratmeter großen „verwilderten“ Flächen nur einmal pro Jahr mit Sense gehauen werden und sich ansonsten eine üppige und dichte, blütenreiche Flora entwickeln kann, die auch über die Blüte hinaus erhalten bleibt und sich natürlich „aussamen“ darf. Damit konnte die 133. Laufkäferart auf dem Grundstück nachgewiesen werden und somit reichlich ein Drittel aller aktuell für Sachsen gemeldeten Laufkäferarten. Da sie wärme- und trockenheitsliebend ist, scheint sie sicherlich auch vom menschengemachten Klimawandel zu profitieren.

Abb_31_05_Fundmeldungen_Ophonus_azureus

Abb. 31-05: Der Laufkäfer Ophonus azureus wurde in Sachsen bisher erst wenige Male nachgewiesen (www.coleoweb.de).

Carphacis striatus A. G. Olivier, 1795

Ein Exemplar dieser relativ seltenen Kurzflüglerart wurde am 15.5.2024 per Handfang auf dem Grundstück nachgewiesen, wobei die genaueren Fundumstände nicht mehr in Erinnerung geblieben sind (Abb. 31_06). Bisher habe ich diese offenbar an verpilzes Holz gebundene Art seit 2003 an 15 verschiedenen Lokalitäten in Sachsen gefunden.

Abb_31_06_Fundmeldungen_Charphacis_striatus

Abb. 31-06: Von der relativ seltenen Kurzflüglerart Carphacis striatus gibt es bisher erst wenige Fundmeldungen aus Sachsen. (nach www.colkat.de).

Dasytes virens (Marsham, 1802)

Diese ziemlich seltene Wollhaarkäferart wurde am 15.5.2024 von der Vegetation geklopft (Abb. 31_07). Sie kann mit der sehr ähnlichen und überall häufigen Dasytes plumbeus verwechselt werden. Das angegebene Haupt-Bestimmungsmerkmal über die Halsschildpunktierung ist schwer nachvollziehbar bzw. erkennbar, wegen der meist dichten Beborstung, was ohne Vergleichsmaterial oft zu Fehlbestimmungen führen kann. Vielleicht wäre es eindeutiger, die komplett schwarzen Hüften als erstes Merkmal zu nennen, während diese bei D. plumbeus immer aufgehellt bzw. nur an der Vorderseite angedunkelt sind, was von der Seite selbst bei aufgeklebten Tieren gut zu erkennen ist (Abb. 30_07).

Abb_31_07_Fundmeldungen_Dasytes_virens

Abb. 31-07: Die seltene Wollhaarkäferart Dasytes virens wurde erst wenige Male in Sachsen gefunden (www.coleoweb.de).

Synaptus filiformis Fabricius, 1781

Beim Lichtfang am 18.7.2024 konnte ein Exemplar dieser seltenen Schnellkäferart nachgewiesen werden (Abb. 31_08). Meine bisherigen fünf Funde von dieser Art stammen alle aus den vergangenen 10 Jahren. Die vier Fundorte: Zöthain, Grauswitz, Nossen und jetzt Löthain stammen aus der näheren Umgebung. Der Fund vom 15.6.2017 per Lichtfang am Elbufer in Pirna bzw. am Rande der Sächsischen Schweiz fällt ebenso etwas aus dem „Rahmen“ wie der 2024er Nachweis im westsächsischen Prießnitz. Laut www.coleoweb.de gibt es aber beispielsweise auch Fundmeldungen aus Nordwestsachsen bei Leipzig und aus Ostsachsen bei Bad Muskau bzw. aus Nordsachsen bei Belgern.

Abb_31_08_Fundmeldungen_Synaptus_filiformis

Abb. 31-08: Vom seltenen Schnellkäfer Synaptus filiformis sind wenige aktuelle Fundmeldungen aus Sachsen bekannt (www.coleoweb.de).

Longitarsus lycopi (Foudras, 1860)

Nachdem an der für den Tee angebauten Minze der zwar schön metallisch grünlich schimmernde Minzblattvertilger Chrysomela herbacea abgesammelt wurden, konnten dennoch viele kleine Löcher in den Minzeblättern festgestellt wurden. Bei näherem Hinschauen wurde winzige, ca. 1,5 mm kleine Blattflohkäfer der Gattung Longitarsus beobachtet und am 13.4.2024 mehrere Exemplare eingesammelt, die später als Longitarsus lycopi bestimmt wurden (Abb. 31_09). Bisher gibt es laut www.coleoweb.de in Sachsen nur eine aktuelle Fundmeldung aus Hoyerswerda. Die deutschlandweit etwas diskontinuierliche Fundmeldungshäufungen spiegeln wahrscheinlich eher die „Verbreitung“ von Koleopterologen mit Affinität zu Blattkäfern wider als die tatsächliche Verbreitung. Möglicherweise wird die Art vor allem über Garten-/Baumärkte verschleppt und kann bei gezielter Nachsuche in Kleingärten eventuell überall nachgewiesen werden?

Abb_31_09_Fundmeldungen_Longitarsus_lycopi

Abb. 31-09: Der Minze-Blattflohkäfer Longitarsus lycopi konnte aktuell zu zweiten Mal in Sachsen gefunden werden.

Limobius borealis (Paykull, 1792)

Die relativ seltene Rüsselkäferart wurde am 23.6.2024 von der Vegetation gekeschert (Abb. 31_10). Die eigenen Funde stammen beispielsweise von 1993 aus der Kleinkuppenlandschaft nördlich von Dresden bzw. aus einer Bodenfalle die auf einer Ackerbrache eingegraben war und 2 Jahre später von einer Ackerbrache bei Dresden-Hellerau per Streifsackfang. 2004 gelang ein weiterer Nachweis im FND „Salweidenfeuchtgebiet“ bei Medingen nördlich von Dresden und 2011 auf den Trockenhängen bei Zadel nordwestlich von Meißen. 2023 wurde die Art in einer Bodenfalle neben einer Pferdeweide bei der Ortschaft Cosul südöstlich von Bautzen nachgewiesen und 2024 mehrfach auf Ackerbrachen um Peritz nordwestlich von Großenhain. Es scheint eine Bevorzugung von trockenen Ruderal- und Brachflächen zu geben, wo sie an Storchschnabelgewächsen fressen soll.

Abb_31_10_Fundmeldungen_Limonius_borealis

Abb. 31-10: Der Rüsselkäfer Limobius borealis konnte mehrfach in Sachsen gefunden werden vorzugsweise auf trockenen Ackerbrachen.

Zusammenfassung nach 12 Jahren:

Die Gesamtartenzahl, die auf dem 1.000 Quadratmeter großen Grundstück nachgewiesen werden konnte, beläuft sich mittlerweile auf 1.236 Käferarten. Es gibt geringfügige Abweichungen gegenüber den in den Vorjahren genannten Gesamtartenzahlen, weil es weitere Rückmeldungen von Spezialisten gab, die taxonomisch schwierige Arten (-gruppen) nachbestimmt haben. Bis auf wenige Ausnahmen konnte damit der Artstatus geklärt werden. Bezogen auf die unterschiedlichen Fangmethoden bedeutet dies:

  • *ZF Handfänge: 739 Arten (268 exklusive Arten)
  • Lichtfänge: 629 Arten (286 exklusive Arten)
  • Bodenfallen: 351 Arten ( 58 exklusive Arten)
  • **ZF Gesiebe: 287 Arten ( 41 exklusive Arten)
  • Lufteklektor: 207 Arten ( 19 exklusive Arten)

* Zusammenfassung mehrerer Methoden: sonstige Beobachtungen und Aufsammlungen, Streifsack, Klopfschirm/ Klopfschale, Ableuchten mit Taschenlampe;

** Zusammenfassung mehrerer Methoden: Heu-, Laub- und Totholzgesiebe, Berlese-Apparatur;

Nach der alten bundesdeutschen Roten Liste (Geiser et al. 1998 (unter Einbeziehung der bereits publizierten neuen Rote Liste der Laufkäfer Deutschlands von Schmidt et al. 2016 - wodurch gegenüber der alten Roten Liste 11 ursprünglich gefährdete Laufkäferarten nun den Status ungefährdet haben) sind im Garten bisher 118 unterschiedlich stark gefährdete Arten gefunden worden. Eine ähnlich hohe Zahl an gefährdeten Arten konnte ich im Rahmen meiner Dissertation bei den dreijährigen Untersuchungen in der nördlich von Dresden gelegenen Kleinkuppenlandschaft nachweisen. Allerdings umfasst das dortige Untersuchungsgebiet 5 km² (Lorenz 1999). Auch bei einer recht umfangreichen, 3jährigen Erfassung der vorwiegend xylobionten Käferfauna im NSG „Seußlitzgrund“ einschließlich Blatterslebener Grund wurden etwas mehr als 100 Rote-Liste-Arten registriert (siehe auch 19. Beitrag in diesem Blog Lorenz vom Dezember 2020).

  • 3x „Ausgestorben/ausgerottet/verschollen“: Synchita separanda, Bruchidius imbricornis, Ips duplicatus

  • 11x „vom Aussterben bedroht“: Ophonus diffinis, Synchita mediolanensis, Lyctus pubescens, Euglenes pygmaeus, Neatus picipes, Corticeus fraxini, Axinopalpis gracilis, Psylliodes reitteri, Bruchidius varius, Orthotomicus longicollis, Curculio elephas

  • 35x „stark gefährdet“: Harpalus melancholicus, Acupalpus brunnipes, Dolichus halensis, Agyrtes bicolor, Quedionuchus plagiatus, Carphacis striatus, Brachygonus megerlei, Dromaeolus barnabita, Agrilus derasofasciatus, Stenelmis canaliculata, Attagenus punctatus, Cryptophagus labilis, Cryptophagus micaceus, Cryptophagus populi, Mycetophagus salicis, Mycetophagus fulvicollis, Arthrolips obscura, Aulonium trisulcum, Symbiotes gibberosus, Sulcacis bidentulus, Gastrallus laevigatus, Dorcatoma substriata, Dorcatoma robusta, Euglenes oculatus, Hallomenus axillaris Pseudocistela ceramboides, Diaclina fagi, Uloma culinaris, Corticeus fasciatus, Oxythyrea funesta, Protaetia marmorata, Osmoderma eremita, Obrium cantharinum, Xylotrechus rusticus, Exocentrus punctipennis; Lymantor aceris

  • 68x „gefährdet“: Stenolophus skrimshiranus, Acupalpus exiguus, Abax carinatus, Chlaenius tristis, Badister peltatus Leiodes strigipenne, Nossidium pilosellum, Siagonium quadricorne, Planeustomus palpalis, Bledius procerulus, Hypnogyra glabra, Quedius dilatatus, Agaricochara latissima, Thamiaraea cinnamomea, Dacrila fallax, Phosphaenus hemipterus, Ancistronycha erichsonii, Ebaeus flavicornis, Trichodes alvearius, Ampedus nigroflavus, Stenagostus rhombeus, Hylis olexai, Drapetes mordelloides, Scirtes orbicularis, Prionocyphon serricornis, Eucinetus haemorrhoidalis, Megatoma undata, Brassicogethes subaeneus, Thymogethes egenus, Laemophloeus monilis, Enicmus brevicornis, Latridius hirtus, Mycetophagus piceus, Synchita undata, Colydium elongatum, Novius cruentatus, Scymnus interruptus, Nephus quadrimaculatus, Vibidia duodecimguttata, Dorcatoma chrysomelina, Dorcatoma dresdensis, Oligomerus brunneus, Palorus depressus, Ptinus sexpunctatus, Calopus serraticornis, Nacerdes carniolica, Aderus populneus, Meloe proscarabaeus, Meloe rugosus, Scraptia fuscula, Anisoxya fuscula, Allecula morio, Prionychus ater, Bolitophagus reticulatus, Platydema violacea, Pentaphyllus testaceus, Corticeus bicolor, Odonteus armiger, Trichius gallicus, Sinodendron cylindricum, Cerambyx scopolii, Acanthocinus griseus, Anaesthetis testacea, Exocentrus adspersus, Exocentrus lusitanus, Phyllotreta punctulata, Pityogenes trepanatus, Lixus punctiventris, Lignyodes enucleator, Curculio pellitus, Tychius pusillus, Tanysphyrus ater;

Im Jahr 2022 ist die aktualisierte Fassung der sogenannten bundesdeutschen Roten Liste der Käfer publiziert worden, die seit 10 Jahren angekündigt war und wahrscheinlich wegen administrativer, bürokratischer oder sonstiger Unwägbarkeiten verspätet veröffentlicht wurde. Eigentlich muss sie aber eher als westdeutsche Rote Liste aufgefasst werden, weil kaum ein ostdeutscher Koleopterologe daran beteiligt wurde und deren regionalfaunistischen Kenntnisse, die etwa ein Drittel der Landesfläche betreffen, keine Berücksichtigung fanden. Auf Grund anderer Kriterien (Ludwig et al. 2006), die bei der alten Roten Liste von 1998 noch nicht angewandt wurden und sich an internationale Prämissen anlehnen (Iucn 2000, 2001), besitzen viele Arten nun keinen Gefährdungsstatus nach den Kategorien „1“ (= vom Aussterben bedroht), „2“ (= stark gefährdet) und „3“ (= gefährdet) mehr. Vielfach wurde auch wegen fehlender Daten (oder eher unzureichender durchgeführter Datenrecherche?) kein Gefährdungsgrad vergeben, sondern ein „D“ (= Daten unzureichend) oder ein „V“ (= Vorwarnliste) oder ein „G“ (= Gefährdung unbekannten Ausmaßes). Daraus ergibt sich folgende „neue“ Gefährdungseinstufung für die im Grundstück gefundenen Käfer:

  • 3x „Vom Aussterben bedroht“: Ophonus diffinis, Synchita separanda, Synchita mediolanensis

  • 13x „stark gefährdet“: Tachys fulvicollis, Harpalus melancholicus, Acupalpus brunnipes, Dolichus halensis, Stenelmis canaliculate, Mycetophagus fulvicollis, Meloe rugosus, Corticeus fasciatus, Neatus picipes, Osmoderma eremita, Longitarsus curtus, Bruchidius seminarius, Tanysphyrus ater

  • 37x „gefährdet“: Harpalus tenebrosus, Harpalus serripes, Stenolophus skrimshiranus, Chlaenius tristis, Badister meridionalis, Badister peltatus, Bledius procerulus, Ancistronycha erichsonii, Trichodes alvearius, Ampedus nigroflavus, Brachygonus megerlei, Drapetes mordelloides, Attagenus punctatus, Corticaria saginata, Corticaria obscura, Colydium elongatum, Aulonium trisulcum, Oligomerus brunneus, Priobium carpini, Dorcatoma minor, Dorcatoma robusta, Euglenes pygmaeus, Euglenes oculatus, Meloe proscarabaeus, Hallomenus axillaris, Allecula morio, Pseudocistela ceramboides, Bolitophagus reticulatus, Pentaphyllus testaceus, Corticeus bicolor, Uloma culinaris, Cerambyx scopolii, Lema cyanella, Longitarsus pellucidus, Ceratapion penetrans, Omiamima mollina, Lixus punctiventris

  • 50x „Vorwarnliste“ (darunter 22 Arten, die bei der vorhergehenden Roten Liste eine Gefährdungseinstufung hatten und 3 Arten, die damals schon auf der Vorwarnliste standen und die restlichen 25 Arten hatten ursprünglich noch keine Gefährdungseinstufung): Carabus convexus, Notiophilus aestuans, Omophron limbatum, Dyschirius angustatus, Ophonus schaubergerianus, Ophonus melletii, Bradycellus caucasicus, Acupalpus dubius, Anthracus consputus, Pterostichus gracilis, Abax carinatus, Agonum gracile, Amara montivaga, Amara lucida, Nossidium pilosellum, Planeustomus palpalis, Anotylus rugifrons, Platystethus capito, Bledius nanus, Scopaeus gracilis, Tetartopeus rufonitidus, Philonthus punctus, Carphacis striatus, Dacrila fallax, Cardiophorus erichsoni, Hylis olexai, Hylis foveicollis, Lamprobyrrhulus nitidus, Afrogethes planiusculus, Laemophloeus monilis, Mycetophagus piceus, Platynaspis luteorubra, Dorcatoma chrysomelina, Dorcatoma substriata, Anthicus flavipes, Variimorda briantea, Orchesia micans, Prionychus ater, Palorus depressus, Stenomax aeneus, Bodilopsis sordida, Protaetia marmorata, Obrium cantharinum, Aromia moschata, Anaesthetis testacea, Exocentrus punctipennis, Lasiorhynchites caeruleocephalus, Diplapion confluens, Dorytomus nebulosus, Phytobius leucogaster

  • 8x „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“: Tachyusa objecta, Prionocyphon serricornis, Lamiogethes persicus, Olibrus bicolor, Mycetophagus salicis, Sulcacis bidentulus, Lyctus pubescens, Rhynchites bacchus

  • 6x „extrem selten” Trogoderma versicolor, Axinopalpis gracilis, Bruchidius imbricornis, Lymantor aceris, Orthotomicus longicollis, Orchestes subfasciatus

  • 26x „Daten unzureichend” Sphaeridium marginatum, Cercyon bifenestratus, Cercyon sternalis, Philonthus pseudovarians, Tachyusa concinna, Plataraea dubiosa, Calodera riparia, Alevonota gracilenta, Cousya nigrata, Trixagus elateroides, Clambus pallidulus, Contacyphon ochraceus, Scirtes orbicularis, Simplocaria semistriata, Cytilus sericeus, Brassicogethes subaeneus, Epuraea biguttata, Cryptophagus uncinatus, Atomaria pulchra, Arthrolips obscura, Hyperaspis campestris, Cis fagi, Mordellistena purpureonigrans, Corticeus fraxini, Ips duplicatus, Curculio elephas

Auf dem Grundstück wurden bisher 51 Arten gefunden, die laut Bundesartenschutzverordnung als „besonders geschützt“ gelten, namentlich: die 2 Sandlaufkäferarten Cicindela campestris und Cicindela hybrida, die 3 Carabus-Arten: Carabus coriaceus, C. convexus, C. nemoralis, der „Bienenwolf“ Trichodes alvearius, 34 Bockkäferarten, die 4 Prachtkäferarten Anthaxia nitidula, Agrilus derasofasciatus, Agrilus cuprescens, Trachys scrobiculata sowie der Ölkäfer Meloe proscarabaeus, die Rosenkäfer-/ Goldkäferarten Cetonia aurata, Protaetia cuprea metallica, Protaetia marmorata, der Nashornkäfer Oryctes nasicornis, der Kopfhornschröter Sinodendron cylindricum und eine Art als „streng geschützt“: der Ölkäfer Meloe rugosus.

Nach Müller et al. (2005) sind 4 „Urwald-Reliktarten“ auf dem Grundstück nachgewiesen worden: Synchita separanda, Neatus picipes, Corticeus fasciatus, Osmoderma eremita, von denen sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch alle vier auf dem Grundstück entwickeln, namentlich am/im Berg-Ahorn-Hochstubben. Der Juchtenkäfer oder Eremit (Osmoderma eremita) gilt laut des europäischen Schutzgebietssystems NATURA 2000 bzw. der FFH-Richtlinie der EU als „prioritäre Art“ des Anhanges II (Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen) und um eine Art des Anhanges IV (Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse) und hat damit europaweit den höchsten Schutzstatus.

Fazit:

Am Fazit vom letztjährigen (Elften) Beitrag zur Coleopterenfauna im eigenen Garten“ und die dort erwähnten Anmerkungen hat sich nichts geändert:

Diese Artenvielfalt auf kleinstem Raum ist überraschend und hängt sicherlich nicht nur mit meiner intensiven Erfassungstätigkeit zusammen, sondern einerseits mit der noch vorhandenen und aktiv geförderten Strukturvielfalt auf dem Grundstück, wo sich die Natur in begrenztem Rahmen entfalten kann bzw. zugelassen wird (Belassen von Stehend-Totholz, alternierende Sensenmahd, Heuhaufen, Natursteinmauern, Ansiedlung und Förderung heimischer Pflanzenarten, extensive Gartenbewirtschaftung, Verzicht auf Pestizide usw.) und andererseits mit der stellenweise noch relativ strukturreichen, näheren Umgebung (alte Streuobstwiesen mit extensiver Beweidung, Gehölz mit alten Laubbäumen, „verwilderte“ bzw. ungenutzte Restflächen) - abgesehen von einigen völlig naturentfremdeten, sterilen, nahezu komplett verbauten Grundstücken, wo alles platt gemacht wird, was auch nur ansatzweise nach heimischer Natur aussieht und die industriell bewirtschafteten und damit intensiv gedüngten und begifteten, naturfernen Ackerflächen, die wesentlich zum ökologischen Supergau auf einem Großteil unseres Landes beitragen.

Zusammenfassendes Statement:

Es soll nicht als Widerspruch zum überall festzustellenden Artenschwund und dem Verlust an Biodiversität auf Grund der anthropogen verursachten negativen Veränderungen der Landschaft fehlgedeutet werden, wenn es hier auf lokaler Ebene offenbar noch ein Refugium der Artenvielfalt gibt und das nicht mal in einem Schutzgebiet, sondern in einem fast „durchschnittlichen“ Dorf. Gibt es noch Grund zur Hoffnung, um etwas pathetisch zu fragen? Gibt es gar keinen Artenschwund, sondern nur Panikmache von grünen Spinnern? Wird einfach zu wenig untersucht? Kann sich noch jemand bewusst daran erinnern, wie die Landschaft im Allgemeinen und die Ackersäume und Grundstücke im Speziellen vor 50 Jahren ausgesehen haben? Es gab damals weder Glyphosat noch Laubbläser, Mähroboter oder Steine hinter Gittern. Hängt der Verlust an Artenvielfalt mit der geistigen Einfalt der Leute zusammen? Es scheint, als gäbe es immer mehr Deppen (getreu dem Song von Reinhard Mey: „Irgendein Depp mäht irgendwo immer“), die vorm Haus eher Betonwüsten bevorzugen, mit flächenhaften Steinschüttungen, wo mittendrin eine fremdländische Zombie-Konifere ihr jämmerlichen Dasein fristet und hinterm Haus ein 9-Millimeter-Psychopaten-Kurzrasen vorherrscht (wobei immer mehr Mähroboter zum Einsatz kommen, die permanent jedes Grashälmchen kurzhalten, die der schmerbäuchige Besitzer in Ruhe von der Liege aus mit dem Smartphone überwacht) und an der Grundstücksgrenze ein steriler Kirschlorbeer oder doch besser eine Betonmauer oder „Steinchen hinter Gittern“ Sichtschutz bieten… wo man sich fragt, welche Auswüchse diese totale Naturentfremdung noch auf Lager hat! Andererseits scheint es aber auch immer mehr „empathische“ Leute zu geben, von denen man es gar nicht erwartet, und die haben recht vernünftige Einstellungen gegenüber Natur und deren Förderung und Schutz, auch vor der eigenen Haustür, und dass man auch im Kleinen, das heißt im eigenen Garten der Artenvielfalt eine Chance geben kann/sollte/müsste...

Literatur
  • Böhme, J. (2001): Phytophage Käfer und ihre Wirtspflanzen in Mitteleuropa. Ein Kompendium. – bioform. 132 S.

  • Geiser, R. (1998): Rote Liste der Käfer (Coleoptera) Deutschlands - Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz, Heft 55: 168-230.

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