Zur xylobionten Käferfauna im NSG „Prießnitz“ östlich von Frohburg

1. Vorbemerkungen

Im Auftrag des Landratsamtes Leipzig, Untere Naturschutzbehörde soll im Rahmen einer fachlichen Würdigung u.a. eine naturschutzfachliche Bewertung des überwiegend mit Wald bestockten NSG „Prießnitz“ einschließlich unmittelbarer Umgebung anhand der xylobionten Käferfauna erarbeitet werden. Die Untersuchungen führten Andreas Weigel und der Autor durch.

Bezogen auf Gehölze bzw. waldbestockte Schutzgebiete eignen sich für eine naturschutzfachliche Bewertung die Holz- und Pilzkäfer (Xylobionte i.w.S.) aus bioindikatorischer Sicht besonders gut. Das Artenspektrum der xylobionten (an Holz gebundene) Käfer i.e.S. umfasst in Sachsen ca. 20% der aktuell nachgewiesenen Arten, d.h. etwa 900 Spezies aus fast allen der mehr als 100 Käferfamilien. Neben den „echten“ Holzkäfern, d.h. solche, deren Entwicklung direkt im Holz oder unter der Rinde erfolgt, gehören hierzu auch Arten, die an Pilzen leben, die auf Holz wachsen sowie Arten, die an Baumhöhlen, ausfließenden Baumsaft oder Dendrothelmen gebunden sind, wobei diese mannigfaltige ökologische Gruppe folgendermaßen weitgefächert definiert werden kann:

Definition: Zur Gruppe der xylobionten Käfer zählen alle Arten, deren Entwicklung in lebenden, absterbenden und toten Bäumen und verholzten Sträuchern erfolgt bzw. die als Larven und (oder) Imagines an oder in Holz, Baumpilzen, ausfließendem Baumsaft, in Baumhöhlen bzw. im Mulm, in Nestern baumhöhlenbrütender Vogelarten sowie auf oder unter der Rinde der Bäume leben und direkt oder indirekt an diese Strukturen gebunden sind, einschließlich der räuberischen Arten, die anderen „echten Holzinsekten“ nachstellen und der Parasitoide, Kommensalen und Symbionten, die Holzinsekten als Wirtsarten benötigen.

Darüber hinaus gibt es noch eine Gruppe von totholzaffinen Arten, die zwar regelmäßig an den vielgestaltigen Totholzstrukturen gefunden werden, aber nicht ausschließlich dort vorkommen, sondern wie z. B. viele Pilzkäferarten auch an Bodenpilzen oder sonstigem verschimmelten Material vorkommen. Diese Gruppe sogenannter fakultativer Xylobionter umfasst weitere ca. 400 Arten. Die regelmäßig im Holz bzw. unter der Rinde überwinternden Arten bleiben unberücksichtigt, wenngleich sie eigentlich auch mit zur Gruppe der xylobionten Käfer i. w. S. gezählt werden können. Beispielsweise überwintern die laut Bundesartenschutzverordnung als „gesetzlich besonders geschützt“ eingestuften Laufkäferarten der Gattung Carabus gern in morschen Baumstümpfen. Insofern werden mit dem Stubbenfräsen Teil-Lebensräume geschützter Arten zerstört.

Laut der Verordnung zum Schutz von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten (Bundesartenschutzverordnung – BArtSchV) gibt es etwa 200 auch in Sachsen vorkommende xylobionte Käferarten, die als „besonders geschützt“ oder „streng geschützt“ gelten, darunter fast alle Pracht-, Rosen- und Gold-, Hirsch-, sowie Bockkäferarten (Buprestidae, Cetonia und Protaetia, Lucanidae sowie Cerambycidae). Eine große naturschutzrechtliche Bedeutung kann für drei heimische xylobionte Käferarten hervorgehoben werden, weil sie als sogenannte FFH-Arten europarechtlich geschützt sind: der Juchtenkäfer oder Eremit (Osmoderma eremita) sowie der Hirschkäfer (Lucanus cervus) und der Heldbock (Cerambyx cerdo). Seit dem Erstnachweis in Dresden im Jahr 2022 und einem weiteren Fund in der Königsbrücker Heide (siehe auch Bittrich 2024) kommt eine weitere FFH-Käferart hinzu: der Scharlachkäfer (Cucujus cinnabarinus).

Für die meisten Holz- und Pilzkäferarten gibt es keine sächsische Rote Liste. Bisher liegt lediglich eine Fassung für die Bockkäfer vor (Klausnitzer & Stegner 2018), die allerdings aktuellere Funddaten bzw. das Wissen regional tätiger Entomologen unzureichend berücksichtigt und damit faunistische Veränderungen der vergangenen 20 Jahre kaum abbildet. Zudem liegt eine sächsische Rote Liste der Blatthorn- und Hirschkäfer (Klausnitzer 1995) vor, die ebenfalls aktualisiert werden müsste. Einige dieser Blatthorn- und Hirschkäfer gehören zur ökologischen Gruppe der echten Holzkäfer und sind von großer ökologischer und naturschutzfachlicher Bedeutung.

In den vergangenen 20 Jahren scheinen sich die faunistischen Kenntnisse offenbar etwas verbessert zu haben. Vor allem auf Grund der vielen Untersuchungen für die FFH-Managementpläne und Neuausweisungen für Schutzgebiete gab es viele Erfassungen, vor allem von bekannteren Insektengruppen, beispielsweise Tagfalter, Heuschrecken und Libellen. Zudem lassen sich im Zuge der Digitalisierung bzw. mit Hilfe von Datenbanken sowie Internetforen heutzutage relativ schnell Funddaten zusammenstellen und filtern. Dennoch gibt es ein recht fragmentarisches Wissen über die Verbreitung und die Vorkommen von weniger bekannten Insektengruppen, zumal es kaum noch Fachleute mit dem entsprechenden Spezialwissen über Taxonomie und Ökologie der Arten gibt und jüngere Entomologen fehlen. Besonders bei unscheinbaren Gruppen wie xylobionte Käfer, die nur selten im Fokus der Öffentlichkeit stehen, werden erhebliche Kenntnisdefizite deutlich. In den Medien ist höchstens mal von Schädlingen wie dem „Borkenkäfer“ die Rede, wobei eigentlich nur der Buchdrucker (Ips typographus) und/ oder der Zwölfzähnige Kiefernborkenkäfer (Ips sexdentatus) sowie der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) gemeint sind, aber weitestgehend unbekannt ist, dass es bei uns ca. 80 verschiedene Borkenkäferarten, darunter auch gefährdete und vom Aussterben bedrohte Arten gibt und der tatsächliche Schaden primär vom Menschen bzw. auf Grund forstpolitischer und -wirtschaftlicher Inkompetenz verursacht wurde und wird, indem die falschen Baumarten als instabile Monokulturen auf nicht geeigneten Standorten gepflanzt wurden und wegen falschen und weder naturschonenden noch wirklich nachhaltigen Bewirtschaftungsformen das natürliche Gleichgewicht im Wald zerstört und die Anfälligkeit der Bäume gegenüber Umweltextremen und Kalamitäten erst verursacht bzw. deutlich verstärkt wird. Konkret soll hier beispielsweise die immer stärkere Umformung und Vereinheitlichung der kleinparzellierten Forstplantagen genannt werden, um den Einsatz überdimensionierter Technik, wie Harvester immer flächendeckender zu etablieren. Auch der Pestizideinsatz muss genannt werden, wobei ökologische Gesetzmäßigkeiten, wie der 4jährige Massenwechsel ignoriert werden und alles tot gespritzt wird, auch die Gegenspieler von gradationsfreudigen „Problemarten“, sodass sich kein Antagonistenpotenzial und ökologisches Gleichgewicht aufbauen kann. Eine weitere Schädigung des Waldes durch fragwürdiges forstliches Handeln ist z.B. der Einsatz von begifteten Netzen, die über Holzstapel gespannt werden, wobei alle Insekten, auch Nützlinge und gesetzlich geschützte Arten, die in Kontakt mit diesen Netzen kommen, absterben und dies auch noch als „ökologischer Waldschutz“ propagiert wird. Die fachliche Kompetenz von Forstleuten, die so etwas vertreten, muss zu Recht in Frage gestellt werden!

Laut dem Band „Naturschutzgebiete in Sachsen“ (SMUL 2008) gibt es bisher keine Daten über wirbellose Tiere aus dem NSG (siehe S. 236). Aus dem südwestlich gelegenen NSG „Streitwald“ liegen beispielsweise Daten von insgesamt 107 Holzkäferarten sowie über Laufkäfer vor. Zudem gibt es im Rahmen von freizeitentomologischen Forschungen von einer Exkursion aus dem Jahr 2022 aktuellere Daten über die Holzkäferfauna der Region um Frohburg (Lorenz & Jäger 2023).

2. Erfassungsmethoden

Zur Erfassung der xylobionten Käferfauna sind von April bis September 2024 zwei sogenannte Kreuzfensterfallen installiert worden, die alle 4 Wochen geleert wurden (Abb. 32_01 und 32_02). Das Fangmaterial wurde im Labor mit Hilfe einer Lupenlampe und eines Stereomikroskops ausgelesen, wobei alle Käfer separiert und in 70%igem Alkohol konserviert wurden. Zusätzlich kam ein sogenannter Baumhöhlen-Eklektor zum Einsatz (Abb. 32_03). Dies ist eine kleinere Variante der Fensterkreuzfallen, die in hohle Bäume gehängt werden, um die dort sehr versteckt lebende Baumhöhlenfauna zu erfassen. Bei den Kreuzfensterfallen handelt es sich einerseits um zwei große Eklektoren mit 50 cm Höhe und 30 cm Breite, die in den Baumkronen einer alten Eiche und einer alten Buche gehängt wurden. Der Baumhöhlen-Eklektor von 30 cm Höhe und 12 cm Breite, hing im hohlen Stammfuß einer umgebrochenen Buche. Die Fallen hatten folgende Positionen (Abb. 32_05):

  • Lufteklektor an Stiel-Eiche: 51°05'31.1"N 12°36'46.6"E;

  • Lufteklektor an Rot-Buche: 51°06'20.6"N 12°37'23.8"E;

  • Baumhöhlen-Eklektor in Rot-Buchenstumpf: 51°05’44.0‘‘N 12°37’01.1‘‘E

Als Konservierungsflüssigkeit kam gesättigte Salzlösung zum Einsatz, der etwas Essig und Alkohol sowie Detergenz (Waschpulver zur Herabsetzung der Oberflächenspannung der Flüssigkeit) zugesetzt war. Zu den Auf- und Abbau- sowie Leerungsterminen 2.4., 8./9.5., 4./5.6., 9./10.7., 5./6.8., 8.9.2024 fanden Handfänge (im gesamten Waldgebiet) mit Klopfschale/Klopfschirm, Streifsack usw. statt. Außerdem wurden Gesiebe eingetragen und gezüchtet und am 9.7. sowie 6.8. erfolgten Lichtfänge (Abb. 32_04), deren Positionen aus Abb. 32_05 ersichtlich sind.

Abb_32_01_LuEkl_Eiche

Abb. 32-01: Fensterkreuzfalle an Stiel-Eiche mit großem Starkastabbruch.

Abb_32_02_LuEkl_Buche

Abb. 32-02: Fensterkreuzfalle an großer Stammhöhle einer abgestorbenen Rot-Buche.

Abb_32_03_BH_LuEkl_Buchenstumpf

Abb. 32-03: Baumhöhlen-Eklektor, der in einen hohlem Buchenstumpf gehängt wurde.

Abb_32_04_Lichtfang_Frankenhainer_Bachaue

Abb. 32-04: Generatorbetriebene Lichtfanganlage mit 500 W-Projektorleuchte (links) und 250 W-Natriumdampf-Mischlichtlampe (recht) in der Aue des Frankenhainer Baches. Bei diesem Lichtfang am 9.7.2024 konnten 125 Käferarten angelockt werden.

Abb_32_05_UGLage_UM

Abb. 32-05: Ungefähre Position der zwei Fensterfallen (rot: Eiche, hellblau: Buche), des Baumhöhlen-Eklektors (grün) und der zwei Lichtfangstandorte (gelb: 9.7.2024; orange: 6.8.2024).

Alle Arten, die zweifelsfrei im Gelände identifiziert werden konnten, wurden notiert und wieder freigelassen. Das Fangmaterial aus den Fallen wurde im Labor mit Hilfe einer Lupenlampe und eines Stereomikroskops ausgelesen, wobei alle Käfer separiert und in 70%igem Alkohol konserviert wurden. Zusätzlich wurden alles Wildbienen und Grabwespen, Raubfliegen sowie Wanzen und Zikaden, die zufällig in die Fallen geraten sind, extra ausgelesen und ebenfalls in 70%igem Alkohol konserviert, um sie den Hymenopteren-Experten Dr. Andreas Scholz und Wolf-Harald Liebig und weiteren Spezialisten, wie Tommy Kästner aus Dresden sowie Michael Münch aus Chemnitz und Frau Dr. Sabine Walter aus Kurort Hartha zur Verfügung zu stellen.

3. Ergebnisse

Insgesamt konnten 572 Käferarten nachgewiesen, davon 312 xylobionte Käfer i.w.S. (siehe die in fünf Tabellen aufgeteilte Artenliste in Abb. 32_06 bis Abb. 32_10). Ein Großteil der Arten wurden aktuell durch die eigenen Erfassungen nachgewiesen. In geringerem Umfang sind die Fundmeldungen von Herrn Michael Happ involviert worden, der v.a. 2023 im Gebiet seine Beobachtungen fotografisch dokumentiert hat. Ihm ist v.a. der Erstnachweis einer Bockkäferart zu verdanken. Laut Bundesartenschutzverordnung gelten 20 Bockkäferarten, 2 Prachtkäferarten und je 3 Blatthorn- und Hirschkäferarten als „gesetzlich besonders geschützt“ (siehe Spalte: „BAV“ in folgenden 5 Tabellen). 59 xylobionte Arten stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten Deutschlands, darunter 4 „vom Aussterben bedrohte“, 7 „stark gefährdete“ und 20 „gefährdete“ Arten (weitere Angaben, wie z.B. „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ oder „Vorwarnliste“ siehe Abb. 32_10 bzw. Tab. 5).

Einschränkende Anmerkungen zu den Roten Listen: Die Rote Liste Deutschlands der Käfer ist eigentlich nur eine „westdeutsche“, weil bei deren Erstellung kaum ostdeutsche Entomologen beteiligt wurden und deren Fachwissen unberücksichtigt blieb. Somit ist es anmaßend und fachlich fragwürdig, von einer Roten Liste Deutschlands zu sprechen. Offensichtlich wurde nur das Publizierte und irgendwelche Fundlisten aus dem Internet zur Gefährdungseinstufung herangezogen, getreu dem Motto: „Wissenschaft das ist und bleibt, was einer ab vom andren schreibt“ 😉. Ein Großteil des faunistischen Wissens und Kenntnisse über Veränderungen der Verbreitung und Vorkommen der heimischen Käferarten besitzen allerdings regional tätige Entomologen, die abwertend als „Hobby- oder Freizeit-Käferleute“ bezeichnet werden. Insofern kann diese „westdeutsche“ Rote Liste nur eine grobe Orientierung liefern. In Sachsen gibt es leider keine Rote Liste für alle Käfer, sondern nur für wenige Käferfamilien. Außerdem widerspiegeln auch diese derzeit noch gültigen sächsischen Listen nicht den tatsächlichen Gefährdungsgrad, weil sie entweder veraltet sind oder ebenfalls ungenügend recherchiert wurden, da die meisten der aktiv in Sachsen tätigen Koleopterologen nicht einbezogen worden sind.

Nach Schmidl & Bussler (2004) gelten 34 Arten als sogenannte „Indikatorarten“, d.h. sie besitzen eine große ökologische und bioindikatorische Relevanz und unterstreichen den hohen naturschutzfachlichen Wert des Gebiets (siehe Spalte „IA“ in folgenden 5 Tabellen). Als „höchste“ Kategorie zur Bewertung xylobionter Käfer zählt die Einstufung als „Urwald-Reliktart“. Bereits im Jahr 2005 haben mehrere Autoren eine solche Liste für Deutschland publiziert (Müller et al 2005). Laut Definition sind die Käferarten nach den folgenden Kriterien ausgewählt worden:

  • Reliktäres Vorkommen in Mitteleuropa;

  • Bindung an Strukturkontinuität bzw. Habitattradition sowie Kontinuität der Alters- und Zerfallsphase;

  • hohe Ansprüche an Totholzqualitäten und –quantitäten;

  • aus den kultivierten Wäldern Mitteleuropas verschwindend oder schon verschwunden.

Darüber hinaus wurde für ganz Mitteleuropa eine solche Urwald-Reliktartenliste publiziert (Eckelt et al. 2017). Auf Grund des größeren Bezugsrahmens sind in der zuletzt genannten Liste Arten genannt, die in Deutschland nicht vorkommen oder hier bereits ausgerottet wurden oder aus der 2005er Liste gestrichen wurden, weil sich die Bestandssituation oder Kenntnisse zu den Vorkommen geändert haben. Zudem unterliegt die Natur ohnehin einer meistens nicht vorhersehbaren Dynamik. Im NSG „Prießnitz“ konnten insgesamt 12 Urwald-Reliktart gefunden wurden bzw. laut der „Müller-Liste sind es 10 Arten und nach „Eckelt-Liste“ 9 Arten.

Abb_32_06_Tab1_xyloKaefer

Abb. 32-06: Teil 1 der Gesamtartenliste der xylobionten Käfer im NSG „Prießnitz“ mit ökologischen Angaben

Abb_32_07_Tab2_xyloKaefer

Abb. 32-07: Teil 2 der Gesamtartenliste der xylobionten Käfer im NSG „Prießnitz“ mit ökologischen Angaben

Abb_32_08_Tab3_xyloKaefer

Abb. 32-08: Teil 3 der Gesamtartenliste der xylobionten Käfer im NSG „Prießnitz“ mit ökologischen Angaben

Abb_32_09_Tab4_xyloKaefer

Abb. 32-09: Teil 4 der Gesamtartenliste der xylobionten Käfer im NSG „Prießnitz“ mit ökologischen Angaben

Abb_32_10_Tab5_xyloKaefer

Abb. 32-10: Teil 5 der Gesamtartenliste der xylobionten Käfer im NSG „Prießnitz“ mit ökologischen Angaben

Faunistisch besonders bemerkenswert sind beispielsweise vier Arten aus dem NSG „Prießnitz“, weil sie erstmals in Sachsen nachgewiesen wurden. Zudem gibt es von diesen Arten erst wenige Fundmeldungen aus großen Teilen Deutschlands bzw. der hiesigen mitteldeutschen Region, sodass dies auch überregional bemerkenswert ist. Es handelt sich um den Schmaldeckenbock Callimus angulatus (Abb. 32_11), den Schwarzen Baumschwammkäfer Mycetophagus ater (Abb. 32_12), der Baummulmkäferart Phytobaenus amabilis (Abb. 32_13) sowie die nicht als xylobiont geltende Dungkäferart Pleurophorus caesus (Abb. 32_14).

Callimus angulatus (Schrank, 1789)

Abb_32_11_Fundmeldungen_Callimus_angulatus

Abb. 32-11: Die wärmeliebende Bockkäferart wurde Anfang Mai 2023 am besonnten Gehölzrand des NSG „Prießnitz“ von M. Happ beobachtet und fotografiert. Sie ist damit erstmals in Sachsen nachgewiesen worden. Bisher gab es wenige Funde aus Sachsen/Anhalt. Beispielsweise konnte ich die Art im Mai 2021 in Lufteklektoren im dem NSG „Tote Täler“ bei Naumburg nachweisen. Wahrscheinlich breitet sich Callimus angulatus weiter ins nordöstliche Mitteleuropa aus.

Mycetophagus ater (Reitter, 1879)

Abb_32_12_Fundmeldungen_Mycetophagus_ater

Abb. 32-12: Ein Exemplar der Baumschwammkäferart Mycetophagus ater wurde am 8. Mai 2024 im zentralen Teil des NSG „Prießnitz“ von Totholz mit Baumpilzbewuchs geklopft. Die bisherigen Fundmeldungen stammen alle aus Südwestdeutschland. Vermutlich handelt es sich tatsächlich um ein Reliktvorkommen?

Phytobaenus amabilis R. F. Sahlberg, 1834

Abb_32_13_Fundmeldungen_Phytobaenus_amabilis

Abb. 32-13: Ein Exemplar der Baummulmkäferart Phytobaenus amabilis wurde vom 9./10. Juli 2024 im mit einer LED bestückten Lufteklektor an der abgestorbenen Buche gefangen. Es handelt sich um einen Erstnachweis für die Käferfauna Sachsens.

Pleurophorus caesus (Panzer, 1796)

Abb_32_14_Fundmeldungen_Pleurophorus_caesus

Abb. 32-14: Beim Lichtfang am 9. Juli 2024 konnte ein Exemplar der Dungkäferart Pleurophorus caesus gefunden werden und damit erstmals in Sachsen. Die wärmeliebende Art breitet sich wahrscheinlich weiter nach Nordosten aus.

Einige weitere Arten, die den naturschutzfachlichen Wert und die Schutzwürdigkeit unter Beweis stellen, sind beispielsweise der laut Bundesartenschutzverordnung streng geschützte Große Goldkäfer Protaetia speciosissima (Abb. 32_15), die Ameisenbuntkäferart Dermestoides sanguinicollis (Abb. 32_16), die Schnellkäferart Crepidophorus mutilatus (Abb. 32_17) und die Schwammkäferart Orthocis reflexicollis (Abb. 32_18), die erst das zweite Mal in Sachsen gefunden werden konnte.

Protaetia speciosissima (Scopoli, 1786)

Abb_32_15_Fundmeldungen_Protaetia_speciosissima

Abb. 32-15: Der Große Goldkäfer konnte im Juli und August in beiden Lufteklektoren gefunden werden. Die Art hat in Sachsen seinen Verbreitungsschwerpunkt im Nordwesten und Nordosten und scheint bis auf wenige Ausnahmen Alt-Eichen mit Baumhöhlen zu bevorzugen.

Dermestoides sanguinicollis Fabricius, 1787

Abb_32_16_Fundmeldungen_Dermestoides_sanguinicollis

Abb. 32-16: Anfang Juni 2024 konnte ein Exemplar dieser sehr seltenen Ameisenbuntkäferart an einem Eichen-Hochstubben beobachtet werden. Bisher gab es beispielsweise einzelne Funde aus dem Leipziger Raum (Bernhard 2003, Hahn et al. 2022) und von 2008 aus der Oberlausitz bei Weißwasser (Klausnitzer et al. 2009) sowie von 2020 aus Dresden (in lit. A. Werner).

Crepidophorus mutilatus (Rosenhauer, 1847)

Abb_32_17_Fundmeldungen_Crepidophorus_mutilatus

Abb. 32-17: Anfang Juni 2024 wurden zwei Exemplare dieser sehr seltenen Schnellkäferart im Lufteklektor gefangen, der an der Buche hing. Wahrscheinlich benötigt die Art besonders große und alte Mulmhöhlen. Die eigenen Funde stammen von 1995 vom Dresdner Elbhang zwischen Wachwitz und Helfenberger Grund (Altbuche mit Stammhöhle) und von 2015 aus der östlichen Oberlausitz bei Herrnhut (alte Linde und Erle mit Baumhöhlen) sowie von 2022 aus dem Forstbotanischen Garten (Esskastanie mit großer Stammhöhle).

Orthocis reflexicollis (Abeille de Perrin 1874)

Abb_32_18_Fundmeldungen_Orthocis_lucasi

Abb. 32-18: Ein männliches Exemplar konnte am 8. Mai 2024 von Baumpilzen in der Umgebung des Eichen-Lufteklektors geklopft werden. Es ist der zweite Fund in Sachsen. Der Erstnachweis gelang 2023 in der Königsbrücker Heide (Lorenz 2024).

4. Zusammenfassung und Fazit

Im untersuchten Waldgebiet konnte bei insgesamt 312 xylobionten Käferarten eine überdurchschnittlich hohe Zahl an faunistisch bemerkenswerten und gesetzlich geschützten sowie unterschiedlich stark gefährdeten Arten nachgewiesen werden. Das Gebiet ist ein Refugium für eine einzigartige Käferfauna mit Bindung an Alt- und Totholzstrukturen und hat eine überregionale bis deutschlandweite Bedeutung für die Holzkäferfauna. Es konnte eine hohe Schutzwürdigkeit unter Beweis gestellt werden. Außerdem haben die noch nicht zum alten Schutzgebiet gehörenden Waldteile ein großes Entwicklungspotenzial, wenn sich die natürliche Baumartenzusammensetzung möglichst ungestört entwickeln darf.

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